Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
Vom Netzwerk:
späteren Ehefrau von Goebbels, wuchs in der Familie des Propagandaministers auf. Diese Verflechtungen taten dem Fortkommen Quandts und seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Abbruch. Von einer Spruchkammer in Starnberg wurde er anstandslos als »Mitläufer« eingestuft; mit dem gleichen Geschick wie vor dem Krieg organisierte er den Aufstieg seines Clans zur reichsten Familie Deutschlands. Familienerbin Johanna Quandt und ihre Tochter Susanne Klatten sind heute die reichsten Frauen Deutschlands. Allein der Tochter fallen aus ihren Beteiligungen an der BMW und der Altana AG jährlich mehr als sechzig Millionen Mark zu. Das ist im Zusammenhang mit den Brüdern Albrecht von Belang, weil sie im Club der Superreichen zu einer Minderheit gehören – zu den Neureichen. Sie hatten das Glück der richtigen Branche. Zusammen mit anderen Handelsgiganten wie Otto Beisheim (Metro, Kaufhof, Saturn, Media-Markt, Vobis, Praktiker Baumärkte u. a.), Erivan Haub (Tengelmann, Kaiser’s, Plus, Grosso, OBI u. a.) und Günter Herz (Tchibo, Reemtsma, Beiersdorf) konnten die Albrechts den Handel umkrempeln und modernisieren – während die Großindustrie im wesentlichen in den Besitzstrukturen der Vorkriegszeit verblieb.
    Rund 50 Familien leben in Deutschland, die mehr als eine Milliarde Mark Vermögen haben. Wie wird man Milliardär? – Der Wissenschaftsjournalist Wolfram Weimer hat in seinem Buch Kapitäne des Kapitals sieben Charakterzüge dingfest gemacht, die unter den 50 deutschen Milliardären mit schöner Regelmäßigkeit nachweisbar sind: Fleiß, Wille, Vatersyndrom, Kompensationsdrang, Sparsamkeit, Pragmatismus und Streben nach Selbständigkeit. Die Rede ist von Selfmademen, nicht von Erben; von Leuten, die zu all diesen Charakterzügen auch noch eine zündende Idee hatten, an der sie beharrlich festhingen. Fleiß und Wille darf man Karl und Theo Albrecht mit gutem Gewissen unterstellen, das Vatersyndrom meint den frühen Verlust des Vaters – auch dieses kann in unserem Fall als gegeben angenommen werden: Durch die Übernahme des Ladens haben die Söhne gleich nach dem Krieg die Ernährerrolle übernommen. Das Napoleon-Syndrom der kleinen Männer, die ganz groß sein wollen, dürfte bei den Albrecht-Schlaksen zu vernachlässigen sein, keinesfalls aber Weimers fünftes Kriterium: extreme Sparsamkeit.
    Darin sind die Brüder sich und ihren Milliardärsartgenossen sehr ähnlich. Vom Industrietycoon Robert Bosch, ein in der Wolle gefärbter Schwabe, ist die Anekdote überliefert, wie er einen Angestellten anfauchte, der eine Büroklammer auf den Boden hatte fallen lassen. »Was dabbsch du auf meim Geld rum, des han i ja zahlt!« Aus der Essener Konzernzentrale wird ein ähnlicher Fall gemeldet: Theo Albrecht habe während einer Versammlung des Verwaltungsrates eine Putzfrau zusammengestaucht, die ein schon sehr klein gewordenes Stück Seife zu früh entsorgt und durch ein neues ersetzt hatte. Theo habe der Frau genau erklärt, wie die Seife zu behandeln sei, um gänzlich aufgebraucht zu werden. Andere Reiche, wie der Stahlbaron August Thyssen, fuhren nur Holzklasse in der Eisenbahn – oder einen japanischen Mittelklassewagen wie der Tengelmann-Milliardär Erivan Haub.
    Psychologie und Soziologie haben das Thema des (Super-)-Reichtums sträflich vernachlässigt; die Medien hängen sich alle Jahre wieder an der Forbes-Liste auf, um ein paar Takte auf der Sozialneidschiene mitzufahren. Über Motivation der Geldvermehrer gibt es nur Spekulationen: Da vermutet schon mal einer, übersteigerte Verlustängste führten bei den Reichen zu einer Panik, sie könnten alles verlieren. Dies sei um so stärker ausgeprägt, je mehr sie den Bezug zur Armut verloren hätten.
    Mit Pragmatismus ist jene Eigenschaft gekennzeichnet, die man landläufig in diesen Finanzregionen an untergeordneter Stelle vermuten würde. Solchen »Ultras« (Wolfram Weimer) schreibt man doch gern Visionen zu. Statt dessen besitzen sie – bei einem Mangel an sozialer – technische und/oder kaufmännische Intelligenz. Sie haben Probleme, sich in einem normalen Sozialgefüge zu orientieren, Probleme, menschliche Wärme zu geben oder zu empfangen; aber sie sind nicht notwendigerweise Visionäre. Das mit verschattetem Blick in die Ferne Schweifen, das Verkünden von zeitlosen Werten à la »I had a dream« ist den Politprofis vorbehalten. Was sich indessen unter der Milliardäre Sucht nach Unabhängigkeit verbirgt, haben die Aldi-Brüder bestens vorexerziert:

Weitere Kostenlose Bücher