Die Aldi-Welt
dem Untergang zu weihen, aus dem sie selbst gekommen sind? Tante Emma ist tot. Onkel Albrecht lebt – und wie.
Die Entführung
Was den späten neunziger Jahren Jan Philipp Reemtsma ist, war in den frühen Siebzigern Theo Albrecht: das berühmteste Entführungsopfer seiner Zeit. Wenn die beiden irgend etwas gemein haben, dann die Neigung, unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu leben. Damit enden die Gemeinsamkeiten schon wieder, denn der Lebensmitteltycoon Theo Albrecht ist ein Selfmademan, der am liebsten im Netz seiner Firma agiert. Reemtsma dagegen ist Erbe. Er hat, abgefedert von seinem stattlichen Vermögen (330 Millionen waren es bei Antritt der Erbschaft), den Weg in die Gelehrtenrepublik angetreten. Als Literaturwissenschaftler promoviert, engagiert sich der Hamburger in dem von ihm finanzierten Institut für Sozialforschung, das sich um Themen wie Holocaust, Gewalt im 20. Jahrhundert, gesellschaftliche Entwicklungstendenzen etc. kümmert. Reemtsma hat die Öffentlichkeit bei weitem nicht so gemieden wie Albrecht, aber hat auch nichts dazu getan, sich qua Einfluß und Ansehen in den Vordergrund zu spielen. Nach seiner Entführung hat sich das für kurze Zeit geändert.
Lohnende Ziele für Kidnapper waren gewiß beide Herren. Und daß für einen Superreichen wie Theo Albrecht eine entsprechende Lösegeldforderung eingehen würde, versteht sich von selbst. Andererseits waren damals die Entführer bescheidener, auch rückwärts inflationsbereinigt waren die verlangten Summen deutlich niedriger als heute. 1971 war Theo Albrecht sein Leben sieben Millionen Mark wert; bei Reemtsma forderten und bekamen die Entführer fast das Fünffache. Aber Theo Albrecht hat natürlich auch in diesem Punkt für einen Rekord gesorgt. Zu damaliger Zeit war er das teuerste Opfer. Noch nie war für ein Menschenleben soviel Geld gezahlt worden. Nach der Albrecht-Entführung flogen die Preise, um mit Asterix zu sprechen, buchstäblich über den Markt. Schon fünf Jahre später löhnte der Unternehmer Richard Oetker 21 Millionen Mark. Dabei mutet die Verschleppung des Discountkönigs Nord aus der historischen Distanz beinahe wie ein Dummejungenstreich an – so stümperhaft und ohne jegliches wirkliches Konzept gingen die beiden Entführer vor.
Das Duo infernale bestand aus dem Rechtsanwalt Heinz-Joachim Ollenburg, damals 49 Jahre, und dem als Panzerknacker zu einigem Ansehen und mehreren Haftstrafen gelangten Paul Kron, seinerzeit 40 Jahre alt. Ollenburg hatte in Zürich Jura studiert und über das Thema »Die Entwicklung der Selbstbedienung in Deutschland« eine Dissertation verfaßt. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob das Thema sich in Ollenburgs Unterbewußtsein in einer Neigung zur Selbstbedienungsmentalität niederschlug: Es ist auf jeden Fall eine aparte Fußnote, daß ausgerechnet ein solcher Jurist sich anschickt, den deutschen Selbstbedienungsmogul zu entführen.
Die beiden Männer hatten sich 1964 bei einem Autokauf kennengelernt, als der »Schränker« (Fachjargon für Safeknacker) Kron gerade einmal wieder auf freiem Fuß war. Der Rechtsanwalt soll »Diamanten-Paul« damals versprochen haben, einen neuen Menschen aus ihm zu machen. Kron revanchierte sich, indem er sich als Mann fürs Grobe in die Dienste des Juristen begab. Bei der Verhandlung sollte Ollenburg später über seinen Kumpan sagen: »Kron war ein Schwerarbeiter. Denn am Tage arbeitete er als Autoschlosser und zwei- bis dreimal in der Woche nachts als Schränker.« Das war auch dringend notwendig, wie sich herausstellen sollte, denn Krons vorgeblicher Mentor hatte einen Hang zum Weiberhelden und Großkotz. Obwohl seine Praxis ganz ordentlich lief, hatte Ollenburg ständig wachsende Spielschulden – zuletzt stand er mit 700000 Mark in der Kreide. Da kam ihm der fleißige Safeknacker gerade recht. Der hatte zusammen mit einem Komplizen das Kaufhaus Mehrwert in Düsseldorf-Benrath gerade um 238000 Mark erleichtert – ein Überfall, den Ollenburg zunächst als zu kleine Nummer abgetan hatte. Als aber Kron seinen Anteil vergraben wollte, erbot sich der Anwalt, auf das Geld aufzupassen. Kron verschwand vorübergehend von der Bildfläche; bei der Rückkehr von seinem Abtauchurlaub in Spanien mußte er leider feststellen, daß Ollenburg das Geld zur Tilgung seiner Schulden hatte verschwinden lassen.
Aber eine richtige Männerfreundschaft konnte selbst diese Dreistigkeit nicht erschüttern. Weil aber nun in beider Kasse Ebbe
Weitere Kostenlose Bücher