Die Aldi-Welt
herrschte, beschlossen sie, ein richtig großes Ding zu drehen. Wie beiläufig kam ihnen der Gedanke an eine Entführung – bei der Lektüre des Bestsellers Die Reichen und die Superreichen. In diesem Buch wurde natürlich auch Theo Albrecht gewürdigt. Kron und Ollenburg kam die Erleuchtung: Warum kleckern, wenn der Klotz fast vor der Haustüre lebte? Man einigte sich schnell, es mit der Entführung des Discountkönigs zu versuchen.
Wer da wen gezogen oder geschoben hat, ist heute ohne Belang; auf jeden Fall steigerten sich die beiden in ihre Idee derart hinein, daß Ollenburg anfing von einer möglichen Erpressungssumme von 100 Millionen Mark zu halluzinieren. Die Ausführung der Tat hielt diesen hochfahrenden Plänen in nichts stand; sie entsprach dann ziemlich genau der verträumten Vorbereitung.
Zwar hatten sie die Lebensgewohnheiten des potentiellen Opfers ausspioniert – etwa, daß Theo Albrecht gegen sechs Uhr abends mit seinem Mercedes die Konzernzentrale verließ – aber zweimal verließ die beiden Taktiker in letzter Sekunde der Mut. Sie sahen zu, wie Albrecht ins Auto stieg und nach Hause fuhr. Beim dritten Anlauf, am 29. November 1971, klappte die Sache, aber wieder mit fast slapstickartigen Einlagen. Bei der Anfahrt zum Ort der Entführung überfuhr Paul Kron eine rote Ampel. Eine Funkstreife stoppte die angehenden Kidnapper und kassierte eine Verwarnung von zehn Mark. Als die Entführer in der Nähe des Tatorts im Regen herumschlenderten, fielen sie erneut einer Polizeistreife auf, die eine Weile im Schrittempo neben ihnen herfuhr. Doch dann schlug die Stunde der Wahrheit. Mit gezogenen Pistolen bedrohten Kron und Ollenburg den graumäusigen Albrecht, als der im Begriff war einzusteigen. Im Wagen nahmen sie erst einmal eine Überprüfung der Personalien vor, weil ihnen das Opfer zu durchschnittlich erschien, in seinem abgetragenen Mantel und dem Anzug von der Stange. Sie fürchteten, einen Buchhalter gefangen zu haben. Kron muß Albrecht zweimal gefragt haben: »Sie sind doch der Herr Albrecht? Der Theo Albrecht?« Obwohl Albrecht bejahte, ließ sich Kron den Personalausweis zeigen. Er war es.
D wie Drive: Kron klemmte sich hinter das Lenkrad, hatte aber Schwierigkeiten, die Mercedes-Limousine mit Automatikgetriebe zu fahren. Und vor allem war ungeklärt, wohin. Also brachten sie den Multimillionär zunächst in die Garage von Kron. Dort saß die Geisel die erste Nacht ab, während der Stratege Ollenburg allein in seinem Büro das weitere Vorgehen bebrütete. Anderntags verfrachteten die Entführer Albrecht zur Hauptverkehrszeit in Ollenburgs Kanzlei in der Graf-Adolf-Straße, mitten in Düsseldorf. Albrecht leistete keinen Widerstand, als sie ihm die Augen mit dunklem Klebeband verschlossen und die Brille darüber aufsetzten. Auf einem Feldbett in einem abgelegenen Zimmer der Kanzlei wurde das Opfer deponiert.
Siebzehn Tage mußte er dort ausharren; mitten in der Stadt, ordentlich verpflegt mit Kaffee und Teilchen, mit Zeitungen (Der Aktionär, Der Volkswirt) und mit der Möglichkeit, seiner Frau Cilly zu schreiben: »Liebe Cilly, heute möchte ich Dir mal etwas Näheres von meinem Tagesablauf berichten. Ich habe ein gutes Bett zum Schlafen. Morgens kann ich mich waschen und rasieren. Alle paar Tage kann ich mich auch baden. Zum Frühstück habe ich frische Brötchen, die gut mit Wurst und auch Käse belegt sind; dazu Kaffee.« Eine verschlüsselte Botschaft läßt sich da nur mit viel Phantasie ablesen. Damals schien es bei Entführungen noch etwas geruhsamer zuzugehen. Jedenfalls kein Vergleich mit der Unterbringung der entführten Herren Oetker und Reemtsma.
So ließ es sich also für beide Parteien leben, nur in der Sache kam man nicht recht vom Fleck. Nach fünf Tagen Zermürbungsphase ging Ollenburg an das Aushandeln der Lösegeldsumme. Höflich erkundigte man sich bei Herrn Albrecht, was er zu zahlen bereit sei. Der bot fürs erste, preisbewußt in jeder Lebenslage, 100000 Mark an. Das reichte den Entführern nicht. Am zweiten Verhandlungstag, dem 5. Dezember, steigerte sich Albrecht immerhin auf eine halbe Million Mark. Und so ging es fort, bis man schließlich bei sieben Millionen angelangt war – für Kron viel zu wenig, der wollte unbedingt zehn. Aber Ollenburg hatte die Nase voll.
Theo Albrecht wurde gestattet, mit dem bekannten Bischof Hengsbach aus Essen Kontakt aufzunehmen. Der Geistliche hatte sich als Vermittler für die Geldübergabe angeboten.
16. Dezember 1971. Bevor man
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