Die Aldi-Welt
zum vereinbarten Übergabeort aufbrach, organisierten die Entführer noch stilgerecht einen kleinen Abschiedsumtrunk, um die erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen erst einmal zu begießen – und zwar zusammen mit Theo Albrecht. Zwei Flaschen Sekt der Marke Henkell Royal wurden geköpft. Albrecht freute sich nicht nur über die Qualitätsmarke, sondern auch über ein Weihnachtspäckchen, das ihm Ollenburg überreichte: Es enthielt zwei Bücher – Der dressierte Mann und Al Capone. Die Rasselbande amüsierte sich vorweihnachtlich, diskret und mit guten Umgangsformen. Vor Gericht sollte Theo Albrecht später ausdrücklich die gelöste Stimmung und die angenehmen Manieren der Entführer schildern. Albrecht war, ein typisches Verhaltensmuster bei Geiseln, seinen Entführern menschlich näher gerückt, als ihm lieb sein konnte. Jedenfalls standen die drei eine ganze Weile an jenem abgelegenen Feldweg an der B 227 bei Breitscheid, bis der Bischof nebst Begleitkaplan zur Geldübergabe eintraf. Nach bischöflichen Testfragen bekamen die Entführer in zwei Päckchen das Geld, bedankten sich artig, wünschten frohe Weihnachten und empfahlen sich.
Nicht für allzu lange. Ollenburg fuhr in die Kanzlei und schlief erst mal richtig aus. Bevor er mit seiner Freundin Blondy nach Mexiko jettete, schickte er – ganz Gentleman – Theo Albrecht jene 1000 Mark, die Kron dem Entführten abgenommen hatte. Einstweilen fahndete eine Sondereinheit der Polizei mit mehr als 150 Mann nach den Entführern. Als erster ging ihnen Paul Kron ins Netz: Er wurde dadurch auffällig, daß ihm das Geld zu locker saß. Im Verhör verstrickte er sich bald in Widersprüche. Sein Kumpan Ollenburg wurde in Mexiko festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert.
Dreizehn Monate später sahen sich die beiden vor Gericht wieder. Die Verhandlung vor der Großen Strafkammer im Saal 101 des Landgerichts Essen brachte nicht nur das ganze Ausmaß an Pfusch ans Tageslicht, sie wurde auch zum Medienspektakel – und zur Lachnummer. Bei der Befragung durch die Richter brachen die Angeklagten und die Zuschauer immer wieder in Lachsalven aus – so absurd mutete sie das Räuber- und Gendarmspiel post festum an. Als Verteidiger fungierte – surprise, surprise – der Münchner Prominentenanwalt Rolf Bossi. Der hatte naturgemäß auch den richtigen Gutachter zur Hand, den Gießener Psychologen Hans Hartmann, der Ollenburg als »extrovertierten Neurotiker« outete, Fachbezeichnung »Philobat«. Ein solcher Mensch jongliere aus lauter Lust am Thrill mit Menschen wie mit Dingen. Der Lebemann Ollenburg sei Ende der sechziger Jahre in eine existentielle Krise geraten – da war zunächst die Trennung von seiner wichtigsten Bezugsperson, seiner früheren Sekretärin und Geliebten Barbara Blümel; dann Selbstmordversuch seiner Tochter Hannelore, eine plötzlich auftretende Lähmung bei seinem Sohn, zudem eine eigene schwere Erkrankung und stetig wachsende Schuldenberge – gegen diesen Ansturm an Bedrängnissen habe Ollenburg keinen Abwehrmechanismus entwickeln können. Statt dessen flüchtete der Philobat, so Hartmann weiter, in Aktionsphantasien, die er schließlich (mit Hilfe von Kron) in die Tat umgesetzt habe.
Unter anderem kamen bei diesem Prozeß aber auch ganz handfeste Trugbilder ans Tageslicht, etwa daß Ollenburg mit einem gefälschten Abiturzeugnis sich ein Jurastudium erschlichen hatte. Gerhard Mauz brachte die Sache im Spiegel unsentimental auf den Punkt: beide seien aufgrund ihrer Vorgeschichte als »Krüppel, was ihre Biographie betrifft« anzusehen. Weniger lustig war dementsprechend auch das Urteil: acht Jahre und sechs Monate für Ollenburg und Kron. Begründung: gemeinschaftlicher Autostraßenraub, schwere räuberische Erpressung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Bei Ollenburg kam Personen- und Sachhehlerei dazu, bei Kron schwerer Diebstahl in zwei Fällen. Beantragt hatte der Staatsanwalt jeweils zwölf Jahre; die Verurteilten nahmen das Urteil mit Dank an.
Diamanten-Paul, der Safeknacker, war sogar unmittelbar nach der Urteilsverkündung in Feierlaune. Jedenfalls gab er einer sehr großen deutschen Boulevardzeitung ein Interview. Darin gab er zu Protokoll, für 16 Tage Entführung seien achteinhalb Jahre zwar wie ein Todesurteil, er wolle sich aber – ganz bescheidener Mensch, der er sei – nicht vordrängen.
Keine Angabe konnte oder wollte er zur entscheidenden Frage machen: Es fehlte die Kleinigkeit von 3,7 Millionen Mark, die Hälfte
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