Die Aldi-Welt
Goldene Kalb, von dem einige Kultmarken gut leben. Die Aushöhlung der traditionellen Markenwelt beginnt immer über den Preis. Die boomenden Factory-Outlets auf der grünen Wiese sind ein deutliches Zeichen für diesen Trend. Markenware muß nicht mehr das kosten, was zunächst auf der Preisliste stand. Damit fällt der entscheidende Wert einer Marke, ihr Preis, im Ansehen. Und schon hat das Kind auch auf der Käuferseite einen neuen Namen: Der Smart-Shopper hat seine Lektion in zeitgenössischem Einkaufsverhalten gelernt. Er weiß, daß die qualitativen Unterschiede sich längst nivelliert haben – nicht zuletzt Warentests beweisen es ihm immer wieder. So frißt die Aldisierung ihre Kinder: Wer sich von seinem Markenfetischismus löst und ganz bewußt auf no name vulgo Aldi umsteigt, ist nur der nächsten Marke aufgesessen. Mit dem Unterschied, daß die es leichter hatte, als jene Vorbilder, die sie imitierte. Preis essen Marke auf? Aldisierung als große Demokratisierung, weil in einem Aldi-Regal alle Waren so einheitlich sind wie die Käufer davor? Die Fraktion der Nicht- oder Anti-Aldianer wird zunehmend kleiner und radikaler. Der Konsumismus hat gesiegt. Solange die Siegesfeiern andauern, wird die Sonne in der Aldi-Welt nicht untergehen.
Die Welt als Aldi und Vorstellung (III)
Wo bin ich? Was tue ich? Woher komme, wohin gehe ich? Mit einem unhörbaren Schrappen justiert sich der Bewußtseinsspeicher des Kunden, jagt Befehle, Handlungsanweisungen durch die Nervenbahnen, der verschwommene Blick, an dessen Rand eben das Ehepaar verschwunden war, stellt scharf, Umrisse werden Konturen, das Gewicht in seiner rechten Hand entpuppt sich als gelbes Päckchen, ein Pfund Jodsalz, das er auf und ab bewegt, als wolle er gefühlsmäßig prüfen, ob es auch tatsächlich die angegebenen 500 Gramm enthielte. Und wie er so dasteht, mehr Mobiliar denn mobiler Konsument, wird ihm klar, daß er selbst beobachtet wird, von der anderen Seite des Warenstapels lugt eine Frau, die sich wohl wundert, warum er das Salzpäckchen – was soll denn das wieder für eine häßliche Brille sein, dieser modische Metallprügel, Hirnabschlußleisten, das man ja merkt, wo’s unten zu Ende geht, wo eigentlich das Gesicht beginnen soll. Solche Brillen trugen früher Leute wie Elton John auf der Bühne, heute hat man sie beim Aldi auf, na denn, auch das 70er-Jahre-Revival wird vorübergehen. »Brülle: Fielmann« hat ein Kabarettist den anschwellenden Brillenwahn der Deutschen glossiert. Das war auch so ein Befreiungsschlag gewesen. Die Entmythologisierung des Kassengestells. Jahrzehnte waren die Leute mit fratzenhaften Gesichtern durch die Gegend gelaufen, mit Horngestellen, die die Kasse gerade noch hergab (Zuzahlung war nicht angesagt; siehe auch Apotheken, issja alles lange her: jaja: Sozialstaat, Netz mit doppeltem Boden, kann ja keiner mehr finanzieren und so weiter, und so Rhabarber). Dann kam Fielmann und verpaßte den Deutschen flotte Brillengestelle. Alle liefen mit intellektuellen Visagen rum, man wähnte sich schon in einer schönen neuen Welt zivilisiert-mondäner Spätbürgerlichkeit, bis irgendein Hipster (der Blitz möge ihn beim Abhotten treffen) das gute alte Kassengestell seiner Oma ausgrub, es sich selbst- und modebewußt auf die Nase setzte – und alles fing wieder von vorne an. Damals wollte Elton John auch irgendwie hip sein, war ja ohnehin nicht leicht für ihn. Heute singt er auf Beerdigungen, trägt dazu eine dezente Brille, und sein neuer Frontman heißt Tony »Walks like Tory, talks like a Tory« Blair. Der kann so schön aus der Bibel vorlesen, daß es jeden US-Fernsehprediger zu Tränen rühren muß. Let’s this make an age of giving. Blair trägt keine Brille. Ist auch besser, die wäre sonst ständig von innen beschlagen wg. Selbstbeweihräucherung. Aber das ist merry old England. War Fielmann ein Aldi mit anderen Mitteln? Niemals. Fielmann war Pseudodemokratie. Elton-John-Demokratie. Superoptik für alle. Noch der letzte (pardon!) Arsch konnte vermittels Armani-Fake wie Guido Westerwelle aussehen. Das ist dieser Generalsekretär dieser Dings-Partei mit den drei Punkten, die schwarz auf gelb auf den Ärmel gehören, die mit den fünf Prozent, na wie hieß sie – egal, Hauptsache, sie benannten alle ihre Einpeitscher nach dem guten alten Generalsekretär, ein Touch Militär und Sozialismus mußte einfach sein. Fielmann hatte auch den entscheidenden Nachteil, daß bei der Brille immer ein gewisser
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