Die Aldi-Welt
eine Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände empfahl: »Man sollte immer auf Beratung bestehen und nach Nebenwirkungen fragen.« Das wird bei rezeptpflichtigen Medikamenten auch niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.
Für Mittel gegen das tägliche Zipperlein hat dagegen die Aldisierung begonnen. Seit sich herumgesprochen hat, daß ein bißchen Ascorbinsäure nicht schadet, und seit weiterhin durchgesickert ist, daß es diese sowie Calcium, Magnesium und Multi-Vitaminpräparate bei Aldi gibt – zu den bekannten Niedrigstpreisen –, war der Fachhandel alarmiert und sann auf Vergeltung. Alles hatte für Aldi so gut begonnen. Unter dem Namen »St. Benedikt« wurden alle möglichen Hausmittel zur Selbstheilung angeboten, Kräutertee, Knoblauchpillen, Vitaminpräparate.
Der Kunde griff beherzt zu. Was jedoch zunächst nach einem Bombengeschäft aussah, brachte den Südzweig des Discounters Ende 1997 ins Gerede. Offenbar hatten mehrere Arzneiproduzenten gleichzeitig die »Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs« (Bad Homburg) von der Leine gelassen: »Bei Aldi hagelt es Abmahnungen« überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Artikel und berichtete von einer Schwemme von Abmahnungen und Prozeßandrohungen wegen vermeintlicher Wettbewerbsverstöße. Was war geschehen? An der Qualität der Aldi-Produkte war wieder einmal nicht zu rütteln. Der Ansatz war, dem Discounter nachzuweisen, er habe die Inhaltsstoffe nicht den Vorschriften gemäß deklariert. Auf einer Kräuterteepackung sei eine Kamille abgedruckt worden, ohne den Nachweis, der Tee enthalte tatsächlich Kamille.
Andernorts muß geklärt werden, ob Honig als Geschmacksverbesserer ausgewiesen werden muß und ob Packungen mit der Aufschrift »Medizina natura« erlaubt sind, die synthetische Zusatzstoffe enthalten. Schließlich muß geklärt werden, ob eine Kombinationspackung gegen Erkältung überhaupt angeboten werden darf (das Gesetz verbietet es). Die Lebensmittelzeitung deutete an, was hinter den Kulissen geschehen könnte. »Dem Vernehmen nach soll Aldi auf juristische Schritte gegen das Erkältungs-Set vorbereitet sein. Es existiert bereits eine Hinterlegungsschrift, die das sofortige Entfernen aus den Regalen zunächst verhindern kann«, meldete das Blatt Ende November 1997.
Natürlich hat der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels nichts gegen freien Wettbewerb, aber bitteschön nur, wenn sich alle an die Vorschriften halten. »Vermutlich«, schreibt die Süddeutsche Zeitung, »hat Aldi geschlampt. Eine Stellungnahme des Mülheimer Discounters gibt es – wie immer – auch in diesem Falle nicht.«
Soviel ist aus diesen Splittern abzulesen: Hier kämpft Goliath gegen Goliath. Melissengeister und Hustinettenbären schauen aus respektvoller Distanz zu. Dabei hätte die schrundige Seele des gemeinen Aldi-Kunden bitter Balsam nötig. Denn die Zerrissenheit des Homo supermercatus ist vermutlich größer, als er sich eingestehen will. Noch immer hängt er seinem Lebensmotto, Kants kategorischem Imperativ mit Inbrunst an: »Handle so, daß die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Aber, sagt er, die anderen tun es ja auch nicht: Natürlich ist dem Homo supermercatus bewußt, daß sein Einkauf bei Aldi nicht nur Arbeitsplätze sichert, daß er nicht nur seinen Geldbeutel schont, sondern irgendwo da draußen die Ökobilanz in eine Schieflage gerät, daß er womöglich an der Ausbeutung der Dritten Welt indirekt beteiligt ist, daß irgendwer dafür bezahlt, wenn er sich chilenischen Rotwein, israelische Avocados und in China genähte Freizeitschuhe zulegt.
Statt dessen tröstet sich der Bewohner der Aldi-Welt, wenn er denn das Geld dazu hat, mit einem Alibi-Kauf, der das Gewissen reinwaschen soll, etwa mit einer Bestellung bei einem Versandhandel wie »manufactum« (Motto: »Es gibt sie noch, die guten Dinge.«). Mit diesem Aufkleber wird heute vieles verramscht beziehungsweise neu aufgelegt, was bereits unter dem gnädigen Mantel der Designvergessenheit verschwunden war; häßliche Gebrauchsgegenstände des Alltags, die nicht nur so aussehen, als würden sie weitere Jahrzehnte überdauern, sondern dies vermutlich sogar einhalten. Diese Geste befriedigt den Homo aldiens, weil er mit ihr der »Verschleißwirtschaft« (Walter Grasskamp) eins ausgewischt und Beständigkeit gekauft hat.
Die Aldisierung der Markenwelt hat weitreichende Folgen für den Tanz ums
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