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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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Prozentsatz (nennen wir ihn: weiblich) skeptisch reagieren würde. Lieber die Linsen aufs Auge drücken, lieber ohne Sicht durchs Leben tapern, aber unbebrillt und fesch. Nichts rührender als junge Einheimische, die nach der Linsenablage Schwierigkeiten haben, die Zahnbürste an den Mund zu führen. Aldi dagegen – ein Discountokrat. Der hat sie alle beim Zentralnervensystem gepackt. Bei der Energiezufuhr für die Körpermaschine. Das ist wesentlich demokratischer. Gefressen wird immer, ebenso wie gestorben. Deswegen, hat er sich gesagt, werde Bäcker oder Sargtischler.
     
     
    Die Maschine muß brummen. Verbrennung ist das zentrale Prinzip unseres Daseins. In den letzten 50 Jahren hat die Menschheit mehr Kohle verbraucht als in den Jahrtausenden zuvor. Über dem ganzen Planeten liegt ein Glimmern und Glosen von Verbrennungsvorgängen: Regenwald-Brandrodung und Mega-Cities, überall wird abgefackelt, fossile Energie verschwendet. Mehr als fünf Milliarden Menschen laugen den Planeten aus, sekündlich werden es Tausende mehr. Heute leben mehr Menschen auf Terra, als jemals zuvor auf ihr gestorben sind. Und alle müssen essen. Wir essen zuviel, die anderen zu wenig. Es ist die alte Leier, die nicht falsch wird, bloß weil sie ad infinitum wiederholt wird. Also: Wir haben zuviel, weil die anderen zu wenig haben. Wir im Aldi, die anderen für Aldi. Wir zahlen mit unserem Geld, die anderen mit ihrer Gesundheit. Die erste Welt, die dritte Welt. Dazwischen Schwellenländer, darunter die vierte Welt. Mit Demokratie hat das einfach nichts zu tun, denkt er, aber warum denn auch? Wer käme auf die Nulpenidee, Aldi auf den Demokratieprüfstand hieven zu wollen. Money makes the world go round. Nun aber genug mit diesem bitteren Strauß (ja wenn der Franz Josef noch lebte, wär’s auch nicht anders) von Binsenwahrheiten. Wer Augen hat zu sehen, der kann nicht übersehen, daß sich Aldi konsequent dem modischen Schnickschnack des Alltags entzogen hat: Egal, wer in Bonn regiert, bei Aldi diktiert der Preis. In klösterlicher Strenge ist der Rhythmus des Verkaufsablaufs gleichgeblieben, die Zeremonie der Geldabgabe bei den Schwestern mit der blauen Tracht. Trotzdem ist es unglaublich, denkt der ertappte Kunde, mit welcher Sorglosigkeit wir diese Einkäufe verrichten. Als gingen sie uns eigentlich nichts an.
    Lästige Begleiterscheinung vor der Energiezufuhr durch Nahrung. Gesteuert von einem kleinen Zettel mit den immergleichen Wörtern – wie viele Einkaufszettel füllt man vergeblich mit dem gleichen Text, nur um dann das Entscheidende doch zu vergessen? Milch Brot Wurst Käse Wasser Wein Kartoffeln undundund. So hasten wir auf unsichtbaren Gleisen durch eine Warengeisterbahn, greifen nach links oben unten rechts. Einkaufsautomaten. Männer brauchen Zettel, Frauen beherrschen das mit dem geheimen Wissen des überlegenen Geschlechts. Warum macht nicht mal einer eine Urschreitherapie im Laden, brüllt es hinaus, wie sehr ihn das alles ankotzt? Warum gibt es als höchstes der Gefühle einen Tippelbruder, der mit vom Abusus zitternder Hand nach dem Klaren fischt? Als wäre das das Äußerste, was hier als Opfer tragbar wäre, als gäbe es nur Gewinner in diesem ungleichen Spiel. Das ruhige Dahingleiten. Vor sich den Einkaufswagen, das sperrige Trumm, das nicht um die Kurven will, das behäbig seine Bahnen zieht. Werden die Räder schon so schwergängig eingestellt haben »ab Werk«, damit nicht zuviel gekurvt wird? Powerslide und U-Turn sind nicht vorgesehen bei diesem störrischen Muli des Supermarktzeitalters. Maximale Last bei maximaler Lebensdauer, das Nervöse ist da nicht gefragt: Aldi-Kunden sollen über die Jahre so werden wie Herr und Hund – immer ähnlicher. Der Aldi in uns allen muß herangezüchtet werden. Haben nicht die amerikanischen Tabakriesen jahrzehntelang über die Sucht- und Krebsgefahr Bescheid gewußt – und geschwiegen? Die deutschen Eiernudeln mit den halberwachsenen Hühnerkindern drin, die Würmer in den Fischen, der Wahnsinn in den Rindviechern, die Gene im Soja.
    Was macht denn der Türke da vorn wieder? Zwei Paletten mit dem billigen Öl, ja baden die ihre Kinder drin, das gibt’s doch gar nicht, hehe zusammenreißen ja, Burschi, ausländerfeindlich was, ach was, man wird sich doch wohl noch fragen dürfen, was die so alles einkaufen – und da drüben, was baggert die denn da wie wild, als ob die nicht schon fett genug wäre, Lebkuchenherzen und Salzstangen, na prost Mahlzeit. Muß mich schon

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