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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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die Eidgenossen gekommen? War doch in der Türkei – großes Schild: Bootstouren, Bauernmarkt, Bananenplantagen. Die Tourismus-Türken hatten, so war es ihm vorgekommen, die Discountidee durchaus begriffen, aber in der Umsetzung noch Fehler gemacht. Der erste war ein infrastrukturelles Problem: mangelhafte Verkehrsanbindung. Die Straßen vor den Märkten waren durch die Bank unbefestigt, voller Rollsplit und mit einer grobkörnigen Teerdecke nur unzureichend versiegelt. Geparkt wurde wild, gefahren noch wilder, Straßenbeleuchtung war Zufall. Gehsteige fehlten. Ein Handicap, weil der ungeschützte Urlauber direkt von der Straße in die Warenwelt gelockt werden konnte. Man stelle sich einen Aldi-Filialleiter vor, der seine potentiellen Kunden unterhakt und sinnloses Zeugs brabbelnd in den Laden schleppt. Hallo! Woher? Deutschland? Wo in Deutschland?
    Kommen kukken. Heute alles gratis! Schlußverkauf! An den meisten dieser Straßenstriche reiht sich ein Textilladen an den anderen, immer nur unterbrochen von Juwelieren und fliegenden Uhrenhändlern. Offensichtlich mangelte es zweitens am Warenumschlag: Samt und sonders waren die ausgestellten Apfelteepackungen, Parfüms, Weinflaschen, Bananen und Silberschmuck mit einer gar nicht feinen Staubschicht überzogen. Von Frischegarantie keine Rede. Zumal gegen Saisonende diese sogenannten Supermärkte – ein Titel, den sich noch die kleinste Klitsche verlieh, und wenn sie gerade kühlschrankgroß war – von Tag zu Tag leerer wurden, also ganz offensichtlich die sozialistische Mangelwirtschaft parodierten. Mit verächtlicher Geste wurde dem ausländischen Gast bedeutet: Es lohnt nicht mehr. Diese enorme Mattigkeit war vielleicht für den geschulten Aldianer die größte Herzensprüfung. Dieses erzwungene Sich-Einlassen auf das Kaum-Noch, auf diese provozierend gähnend leeren Regale. Scheuerpulver, aber kein Spülmittel, Streichkäse, aber keine Butter, Nescafé, aber kein Mokka. Da konnte auch die als geistige Nahrung feilgebotene Bild keine Abhilfe schaffen. Was jucken einen Schlagzeilen über einen Börsencrash in Hongkong, wenn die letzten Eier zerbrochen auf grauem Kartonbett dümpeln, wen interessieren die Gemütsregungen eines ewig im Kreis fahrenden Jungmillionärs namens Schumi, wenn eine Tüte H-Milch drei Mark kosten soll, mithin das mehr als Dreifache als daheim? Reibekuchen Filterkaffee Jägerschnitzel – da stand nur Deutsh Sprak (kunstvoll verfremdet, gewiß) auf den Werbetafeln, aber wer wollte das wirklich wissen? Knoublauch Pomes und Koaför waren doch wesentlich exotischer, ganz zu schweigen von den Kneipen, die sich German’s Café, Turtel Bar oder Schluckspecht/Schnapsdrossel nannten. In letzterer gab es jeden Dienstag »Löffeltanz mit dem Chef«, und irgendwie konnte man ahnen, daß just an dieser Stelle der Kampf der Kulturen ausgefochten wird, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Ohne wirklichen Gewinner. Mit der anfallartigen Erkenntnis: Alles, was je über den häßlichen Deutschen gemutmaßt wurde, barg eine schreckliche Gewißheit – es war mit Sicherheit untertrieben. Am Strand hatte ihn damals eine pigmentgestörte rheinische Rohnatur unaufgefordert die neueste Meldung aus der Bild aufgenötigt, derzufolge in Alanya zwei deutsche Kinder entführt worden seien. Gut, sie habe es nicht direkt selbst gelesen, man habe es ihr erzählt, aber totmachen sollte man solche auf jeden Fall und sofort und ohne zu zögern. Nicht lebenswert. Muß ausgelöscht werden.
    Daran hatte er lange denken müssen, als er, wieder in Aldi-Land, die verbiesterten Visagen ältlicher Kneifzangen sah. Wie sie junge Mütter, die sich mit Kinderwagen und Baby mühten, noch in der Kassenschlange schnitten, wie in vollbesetzten Bussen die bräsigsten Pilsgesichter, deren Kopf nur mittels einer Goldkette am Rumpf befestigt war, Schwangere am Haltegriff baumeln ließen – und dazwischen immer das Bild der komplett kindernärrischen Türken, die jederzeit alles liegen- und stehenließen, um nur ja ein Kindchen (egal welcher Haut- und Haarfarbe) zu necken oder zu herzen. Es war an diesen Stränden gewesen, daß er sich wieder einmal – was sonst nur noch Günter Grass auf dem Kasten hatte, aber dafür richtig: mit Bild- Schlagzeile und so – zu schämen begann für seine Landsleute, die für jeden streunenden Strandköter in unauslöschlicher Zuneigung entflammten, gleichzeitig stumpfen Auges an den zur Bettelei abgerichteten Kindern vorbeigingen. Auf deren Anorak in

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