Die Aldi-Welt
wundern, was da immer so alles verladen wird. Multikultis, die in dem Augenblick zu einer Nation werden, in dem sie die Mark in den Schlitz des Einkaufswagens schieben. Das ist der Urnengang, das ist der wahre Volksentscheid. Statt eines Kreuzes eine Mark. Statt CDU/CSU, SPD, F.D.P. Bündnis 90/Die Grünen – A wie Aldi: Konsum statt Sozialismus, Zuverlässigkeit statt geistig-moralischer Wende, voller Bauch statt leerer Worte. Ein Blick in den Einkaufswagen sagt mehr als tausend Worte. Zeig mir, was du bunkerst, und ich sage dir, wie zu Hause deine Couch aussieht, welche Sender du einschaltest und ob du dir die Mühe machst, das Bier in ein Glas zu schütten. Ein echter Unterhemdenfernsehertyp. Rammeln-Töten-Lallen sei dein Unterhaltungskanal, sexplosiv und tuttifrutti. Und natürlich nimmt er die Dosen, dieses gräßliche angeblich bierähnliche Zeug aus Böhmen oder Mähren, ja: zum Ausmähren, es sind die Prototypen des häßlichen Deutschen, die einem hier dauernd über die Füße laufen. Deutet ja auch nichts auf Schönheit hin, es sei denn, man könnte dem Funktionalen mehr abgewinnen, als es tatsächlich hergibt. Ästhetengeschwätz. Steht im Aldi, hält Maulaffen feil, anstatt zügig seinen Einkauf zu erledigen und sinniert über den häßlichen Deutschen, bloß weil ihm eine Schweißfahne aus dem Tagtraum gerissen hat. Oh, entschuldigen Sie bitte, der Herr arbeitet vielleicht körperlich! Daß Sie nicht ins Schwitzen geraten, wundert mich nicht, Sie Klugscheißer, pardon, und jetzt lassen Sie mich bitte durch, ich hab’s eilig. Die Wahrheit in Blicken. Geschieht dir recht. Links reden und rechts leben. So war es doch. Wo blieb denn der persönliche Kampf gegen die übermächtigen Lebensmittelkonzerne? Wo war die Solidarität mit Tante Emma, die es ja noch gab, wenn auch immer seltener. Erst letztes Jahr mußte wieder eine aufgeben; jetzt gibt es eben einen Kramerladen weniger auf der Einfallstraße für die Fabrikarbeiter. Scheint keinen zu stören. Weil wir gerade bei Türken sind: Schau dir die Alte da vorne wieder an, wie sie die Nase hochzieht, bloß weil zufällig der türkische Kunde einen Deut schneller auf das Sonnenblumenöl zugegriffen hat. Als würde die ganze Palette ihr gehören. Am liebsten würde sie ihn mit dem giftigen Ellenbogen weghebeln. Geschieht ihr recht, der Kuh, daß sie sich wenigstens hier mit einem Ausländer arrangieren muß. Sonst kennt sie die doch nur vom Wegsehen und vom Hörensagen, und aus den Nachrichten, wenn wieder mal eine Abfackelung vermeldet wird. Im Türken-Aldi, wo es sich viele einfach leisten müssen hinzugehen – verdienen ja meistens nicht die ganz tollen Gehälter in Teutonien. Karstadt Feinkost Erlebniswelt ist da nicht angesagt. Die sind doch längst aus dem Schlemmerparadies vertrieben.
Allah gibt’s den Seinen nicht im Schlaf, das müssen sie sich schon holen: Zum Beispiel zu Hause, an der türkischen Riviera. Das kam ihm gerade deshalb jetzt in den Sinn, weil er in einem Anfall von Blödheit einmal in die sogenannte Last-Minute-Falle getappt war. Mal eben zwei Wochen in die Sonne, superbillig – warum gibt es eigentlich keine Aldi-Reisen? Das wäre doch ein garantierter Renner: Mit dem Discounter ihrer Wahl in einem garantiert technisch einwandfreien Airbus (lokale Lieferanten bevorzugt!) in ein straff organisiertes Feriendomizil, Club Aldiana. Alles fest in deutscher Hand, die Führung, ähem, wie gehabt. Soll ja Leute geben, die nicht mehr in »ihren« Club fahren, weil die deutsche Führung von einer inländischen abgelöst wurde. Er hatte jedenfalls damals vergessen, den Ferienkalender zu überprüfen. Fand sich binnen eines Tages, die reichlich angegammelte Maschine hatte nur vier Stunden Verspätung, in Antalya wieder. Gelächter, Gelächter: Bei der Zwischenlandung in Leipzig stiegen empörte Ossies (neuerdings total zivilcouragiert in ihrem Kampf gegen uniformierte Obrigkeit) sogleich wieder hinaus auf die Gangway, die noch angedockt war, und zündeten sich in aller Seelenruhe Zigaretten an. Irgendwie hatte man sonst immer den Eindruck gehabt, Rauchen sei im kerosinnahen Bereich eher verboten. Anyway, als die Maschine im strömenden Regen in Antalya landete, müssen unter den Hunderten von Urlaubsreifen mehrere tausend Aldi-Kunden gewesen sein. Schon bei den ersten Strandgängen, die in den kurzen Wolkenbruchpausen tapfer exerziert wurden, tauchte eine erstaunlich hohe Zahl von Menschen auf, die ihre Utensilien in Plastiktüten mit einem
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