Die Aldi-Welt
riesigen Lettern NEVER TOUCH prangte, als ob sich einer freiwillig an einem siechen Knödelfriedhof vergriffe. Wahlberechtigte Bürger, aus einem Land mit tollem Bildungssystem, die die Säulenreste eines Apollo-Tempels »Tor« nannten. Die, je älter, je fetter, ungeniert ihre eingecremten Bollertitten meerwärts hielten, daß Erbakans Anhängern Hören und Sehen verging. Pauschalreisen als Reklamefahrten in die Hölle, eine Kette von Prostitution auf allen Ebenen – egal, sie hatten ihre gerechte Strafe erhalten, waren freiwillig in Betonbatterien kaserniert und also artgerecht untergebracht gewesen, dachte er, als er die Alte sah, wie sie nun endlich – Deutschland den Deutschen! – ihr Sonnenblumenöl aus der Schachtel zog, eine Zehntelsekunde nachdem ihr der Türke den Rücken gekehrt hatte. Triumph des Willens.
Warum, hatte er sich seinerzeit gefragt, tritt das Häßliche am anatolischen Gestade – oder sagen wir: im Ballermann auf Mallorca, oder in der Domi Rep, oder in Pattaya oder am Timmendorfer Strand – in so archaischer Weise auf? Verwandelt sich der Discount-User in das prähistorische Tier, das er im Aldi-Markt mit feineren Mitteln verbirgt? Fallen die Masken der Zivilisation zwischen Wasserlinie und Betonküste schneller als zwischen orangefarbenen Stahlregalen? Weil der Pauschalist nicht mehr unmittelbar zur Kasse gebeten wird, den größten Batzen Geld schon daheim abgibt, mindestens Halbpension bucht. Dafür orgelt er sich im Kreise seiner Artgenossen am Büffet einen ab, Gesprächskreis mit Gleichgesinnten inklusive. In den feineren Anlagen ist neuerdings »all inclusive«, auch das verblödete Animateurskisuaheli. Alles inklusive – ai, das ist doch eine Abkürzung für eine andere Art von Organisation – mal sehen, wenn ich Lust habe, hatte der Gutsituierte am Nachbartisch gesagt, dann hole ich mir morgen noch die goldene Breitling mit dem blauen Band. So ist es recht. Die wahre Lehre vom Konsum. Wie sehr muß der Typ aus Celle gelitten haben, der sich zu Hause (auf gut nord-speak) eine Patek Philippe für 65000 Mark »geholt« hatte – und dann hatte keiner das neue Schmuckstück am Handgelenk bemerkt. Also mußte er seine Nouveau-riche-Kumpanei darauf aufmerksam machen. Ist eine größere Selbstdemütigung vorstellbar? Dem hat das letzte Stündlein geschlagen; nie mehr wird er sich mit wirklicher Unbeschwertheit etwas holen gehen…
Uhr? O Gott, die Zeit. War aber ohnehin mal wieder Zeit gewesen, sich den ursächlichen Gründen des Aufenthalts zuzuwenden. Einkauf, Zweikauf, Mehrkauf, Mehrwert, Wertkauf, Kaufhof, Hof? Bauern-? Richtig, die Eier. Batteriehühnereier, Hühnereierbatterie. Kauft man nicht, Fischmehl, Hühner-KZ, Gülleproblem, ethisches Problem. Freilaufend, Bodenhaltung. Aber wenigstens zum Kochen beziehungsweise Backen? Wann bäckst du denn schon einen Kuchen, kommt ihm gerade noch in den Sinn, als er die Schachtel mit den armseligen Industrieprodukten wieder auf den Stapel gleiten läßt. Es ist ja nicht unbedingt so, als sei er ein nicht aufgeklärter Verbraucher. Ganz im Gegenteil, er hielt sich naturgemäß für einen kritischen Verbraucher. Dazu mußte man nicht Mitglied einer Informationselite sein, da genügte der Blick in anständige Zeitungen. Hatte er nicht neulich gelesen, die Verbraucher orientierten sich neuerdings daran, ob die Produkte politisch korrekt hergestellt seien? Pie-Sie bei Aldi? Das wäre ja noch schöner. Wie hatte Franz Josef Strauß einmal so feinsinnig bemerkt: Wenn das Militär zugreift, geht es eben anders zu, als wenn der Franziskanerorden Suppe an die Armen verteilt. Oder so ähnlich. Jedenfalls Aldi und politisch korrekt – nur auf einer höheren Ebene. Die Eier waren bestimmt nicht pc, weil ein Batteriehuhn per definitionem kein politisch korrektes Ei legen konnte. Wer Batteriehühner produziert oder in Umlauf bringt, wird mit Käfighaltung nicht unter drei Jahren bestraft. Hühnermißbrauch ist ein Verstoß gegen die Humantiät. Daß die Eier so reißend weggingen, zeigte wieder mal, daß den Leuten erstens der Geldbeutel näher als die Humanität war und zweitens der Sinn fürs Politisch-Korrekte völlig fehlte.
- Mein Gott, wenn’s danach ginge, dürften sie überhaupt nicht mehr bei Aldi einkaufen. So begann ein Kurzfilm in seinem Kopf, bei dem ein seriöser Anwalt des Guten-Wahren-Schönen (er sah entfernt aus wie der Mann von der Hamburg-Mannheimer) einer älteren Frau in Wintermantel und Filzhut mit Fasanenfeder erklärte,
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