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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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sie solle sich überlegen, ob sie wirklich die Aldi-Eier kaufen wolle.
    -       Ah, das ist doch überall das gleiche. Meinen Sie, bei Penny oder Lidl oder Tengelmann sind die Eier vom Bauernhof? Das ist doch alles Augenwischerei.
    -       So hatte sich die Frau ihrem ungebetenen Berater zugewendet und also klar gegen die Regel verstoßen, das gute Gewissen habe stets rein und siegreich zu sein. Einmal in Fahrt, ließ sie sich sogleich zu einem kleinen Kurzreferat über diesen ganzen Bio-Schmarrn herab, der erstens ohnehin übertrieben und gegen den man zweitens ebenso machtlos sei:
    -       Früher haben die Leute biologisch gegessen, da war nichts gespritzt oder gedüngt, höchstens natürlich, und? Sind sie älter geworden? Na also, früher gestorben sind sie. Da frag ich Sie, ob das wirklich besser ist, den ganzen Winter bloß Steckrüben und Kohl, jeden Tag die gleiche Pampe auf dem Tisch, monatelang, junger Mann, Sie haben das ja alles gar nicht erlebt, wir hatten ja nichts zu essen im Krieg, das können Sie sich doch gar nicht vorstellen, junger Mann… (Ton langsam ausblenden, Kamera fährt weg, Bild wird unscharf)…
    Vielleicht ist es ja jenseits modischer Aufgeregtheiten tatsächlich so, denkt er, als kurz nach seinem Traumbild an der Eierpalette ein junger Vater seine Tochter an den Pappschachteln vorbeischleppt, ohne diese auch nur eines Blickes zu würdigen, daß die Leute jetzt weniger nach der Umweltverträglichkeit als nach der Produktionsethik lugen. Das hatte in der Zeitung gestanden: Pampers könne man bedenkenlos kaufen, weil der Windelhersteller Procter & Gamble total politisch korrekt sei. Frauenförderung, weitgehender Verzicht auf Tierversuche, Aufträge an Behindertenwerkstätten, Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und maximaler Umweltschutz. Mühe allein genügt nicht, denkt er, man muß heute der billigste und der beste sein. Das kenne ich doch irgendwoher – Kindergeschrei unterbricht die Eingebungen, die sich wie eine flammenfarbene Zirruswolke über seinen Terminatorenblick gelegt hatten; Ahnungen von der Unlösbarkeit dieser Fragen verdunkeln das Konsumentengemüt, das eben noch mit heiterem Blick den Irrsinn in sich selbst erkannt hatte. War er selbst zu einem Aldianer mutiert? Hatte er die Grenze zwischen dem Reich des bewußten Einkaufs und dem Reich des Schnäppchens übersehen? Schlechtes Gewissen stieg in ihm auf, Ekel, der ihm befahl, unverzüglich dieses Etablissement zu verlassen, mit leerem Einkaufswagen, und nie wieder zu kommen. Wir sind auf alles programmiert. Wir gehen hinein, denkt er, wir gehen hindurch, wir gehen hinaus. Wir kehren wieder. In Abständen, von denen wir glauben, daß wir sie selbst bestimmen. Wir sind Einkaufsautomaten, -tomaten? Ja, auf den Augen, da ganz bestimmt. Es ist ja letztlich ganz gleichgültig, was uns die Augen verklebt. Ob Aldi, Lidl, Tengelmann, Plus, Penny, Edeka, Norma – normative Kraft des Konsumistischen. Dabei schien es ja vielen sogar Spaß zu machen. Die sattelten ihre Automatenmobile und machten sich ein fröhliches Ritual daraus, ein gesellschaftliches Ereignis, ein Meeting, ein germanisches Thing: Statt im Kreis zu sitzen und zu beraten, fahren sie im Kreis wie der Formel-1-Pilot, aber sie klagen nie. Sie haben ein Erfolgserlebnis, weil ihre Börsen nur vermeintlich ausdünnen. Sie nicken grüßend nach allen Seiten, sie strahlen, weil sie an der Kasse beinahe so schnell waren, wie es das ungeschriebene Gesetz vorschreibt, sie tun so, als hätten sie Konversation, dabei unterhalten sie sich pantomimisch mit den Konservendosen, Tiefkühlbeuteln, Flaschenhälsen wie mit alten Bekannten. Es ist die Vorfreude des Magens, der Geschmacksnerven, die schon beim Anblick der Packung »Hallo« sagen, weil sie genau wissen, was wieder auf sie zukommt. Weil es ihnen gleichgültig ist, daß die Konservierungsstoffe noch am nächsten Morgen, »Hello again«, den Betrug nach dem Essen komplett machen, indem sie alle restlichen »Inhaltsstoffe« übertünchen und zu Trägern des einen Geschmacks machen: ein Nullsummenspiel, das mit natürlicher Ernährung soviel zu tun hat wie ein VW Golf der vierten Generation mit grenzenloser Mobilität. Wir sind alle Betrogene, fährt es ihm durch den Sinn, und das Schlimmste ist, daß wir es wissen, zumindest wissen müssen, und daß wir aufgehört haben, gegen uns selbst zu rebellieren, daß wir uns haben kaltstellen lassen – Da huscht er vorbei, der Filialleiter,

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