Die Aldi-Welt
gehetztes Tier, schmuddelige weiße Arbeitsjacke, bleiche Gesichtsfarbe unter dem Schnauzer. Mehr Knecht als Leiter, sucht seine Chance, ackert, macht, tut – und ist doch immer auf verlorenem Posten, allein gelassen von ganz oben: Wenn Sie das in den Griff kriegen, junger Mann, kann aus Ihnen noch was werden. – Ja, aber was? Heutzutage wird keinem was geschenkt. Fast fünf Millionen Arbeitslose, junger Mann, seien Sie doch froh. Ehrliche Arbeit… Es gibt Tage, denkt er, womöglich immer kurz vor Vollmond, an denen die ganze Häßlichkeit unserer Existenz in ein grelles Licht tritt. Und nichts, aber auch gar nichts, kann sie dann in eine gnädigere Beleuchtung tauchen. Die verschmierten Fensterscheiben, die Schmutzlachen von den Schneematschschuhen, die ins Angegammelte kippenden Gerüche, die mit einemmal stechend werden. An solchen Tagen sollte man keinen Supermarkt betreten, unter keinen Umständen.
Es war Zeit, die Filiale zu verlassen. Immer, wenn ihn solche morbiden Gedanken anflogen, nahm er es als Signal, daß seine Konsumbereitschaft nachgelassen hatte. Dann machte es keinen Spaß mehr. Bevor er sich in einen Serienmörder verwandeln würde, mußte er unter allen Umständen den Kassenbereich passiert und hinter sich gelassen haben. Er brauchte Sauerstoff, sonst würde er mit der nächsten eingeschweißten Gurke zustechen. Sein Betriebssystem zeigte blinkend zur Neige gehende Energiereserven an. System ccming down. Herr, der Einkauf war sehr groß. Wer jetzt keinen vollen Korb hat –
Die Aldianer
Heutzutage ist nichts und niemand davor sicher, von irgendwelchen Schwachköpfen in den Status des Kults erhoben zu werden. Kult ist die prägende Vorsilbe, die der Kulturteil (sic!) der Zeitung jeder dahergelaufenen Garagenband verleiht; und bevor das Romänchen überhaupt auf dem Markt ist, hat sich irgendwo weit hinten in Wyoming schon ein örtlicher Kritiker begeistert geäußert, so daß der Romancier allhier bereits als Kultautor eintreffen kann. Von Turnschuhen war schon die Rede, daß Popstars Haartrachten und zerrissene Hosen nach sich ziehen, ist eine Binse. Daß aber ein Lebensmitteldiscount in den Verdacht kommen könnte, Kultstatus zu erreichen, das hat wohl doch sehr viel mit der Zeit zu tun, deren Genossen ein Spielzeugauto auf den Mars schicken, bei regelmäßig sich ereignenden Völkerabschlachtungen in Mitteleuropa oder Zentralafrika aber diskret wegschauen. In Anlehnung an Gottfried Benn, der behauptet hat, ein Schlager von Rang sage mehr über ein bestimmtes Jahr aus »als 500 Seiten Kulturkrise«, ist es an der Zeit, ein Phänomen zu beleuchten, das aus Aldi einen Schlager gemacht hat. Denn in den letzten Jahren hat eine Hydra ihr Haupt erhoben, von der man ahnen konnte, daß sie früher oder später kommen würde: der Fan-Club. Der eigentliche Vorbote war ein Kochbuch mit dem Titel Aldidente: 30 Tage preiswert schlemmen, das Astrid Paprotta im Herbst 1996 bei Eichborn veröffentlichte. Der Untertitel »Ein Discounter wird erforscht«, bezog sich dabei eher auf die Erforschung der durchschnittlichen Preise, die ein mit Aldi-Lebensmitteln gekochtes Essen kostet. Am 18. Tag etwa entspinnt sich zwischen dem Aldi-Pärchen ein Disput über die Zubereitung stilgerechter Spaghetti Carbonara. Das schlaue Weibchen legt dann ein Fertiggericht für 1,49 Mark in den Einkaufswagen »und krönt das Ganze trendbewußt mit einer Literflasche französischen Landrotwein für 1,99.« Nicht ohne den Zusatz »Oh, das gibt Kopfweh.«
Soweit ist es gekommen, möchte man ausrufen: Zwar gibt es auf diese Weise ein Abendessen für 1,74 Mark pro Person, Kopfschmerzen inclusive, aber Hauptsache billig. Die resolute Partnerin macht sich keine Gedanken, ob das 1,49-Fertiggericht eventuell nichts taugen könnte; sie tröstet sich noch nicht einmal mit der umfassenden Garantie, die jedes Aldi-Produkt auszeichnet, sie sagt es viel direkter: »Sie glaubt ja ohnehin nicht mehr an den Öko-Weihnachtsmann, der im Naturkostladen ›Sanfte Gerste‹ das schier Unverfälschte aus dem Sack holt. Bescheißen tut uns doch zu jeder Zeit ein jeder.«
Wenn dieses Bild – und einiges deutet darauf hin, daß es sich so verhält – nur einigermaßen repräsentativ für das Konsumverhalten jener breiten Masse ist, die sich zu den Aldi-Käufern rechnet, können die Bauernmärkte und Freilanderzeuger und Demeters und Bio-Dynafniker ihren Natürlichkeits-Machbarkeits-Wahn an der Aldi-Kasse abgeben.
Es ist also nicht
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