Die Aldi-Welt
reden pflegten, ein neuer Hang zur Bescheidenheit getreten. Die Übersättigung der feisten achtziger Jahre hat ihre Kinder gefressen. Nachdem auch ‘noch die letzte Ethnie ihre Würstlbude in den Metropolen errichtet hatte (sogar Eritrea, das Armenhaus Ostafrikas, ist mit Läden und Speiselokalen vertreten), schied sich der Geist des Konsums wieder einmal in die Habenden und die Wollenden. Die Habenden fanden nichts dabei, beim Japaner eben mal ein paar »Hunnies« für rohen Fisch hinzublättern, während sich die Wollenden dann doch eher zum Griechen oder Türken um die Ecke verzogen. Schließlich gab es dort Puten-Döner, und das war immerhin politically correct – bis Bild am Sonntag in einem kaum Aufsehen erregenden Artikel enttarnte, Putenfleisch sei gar nicht so wahnsinnig gesund wegen der nachfragebedingten Turbozüchtung mit Wachstumsbeschleunigern.
Apropos Türken. Es sollte nun hinlänglich entkräftet sein, daß es sich bei Aldi um einen Laden handle, der überwiegend von türkischen Mitbürgern aufgesucht wird. Es hängt von der Nachbarschaft ab. Diese wiederum zeigt ihr wahres Gesicht im Sportsgeist – die Fairneß im Umgang wird ja hierzulande gern großgeschrieben; es ist ja nicht so, daß man sich gern in Gesellschaft nationalchauvinistischer Zwergländer wie Österreich befände, die regelmäßig durchdrehen, wenn es einer der ihren bis auf das Siegerpodest, »das Stockerl«, schafft. Unvergessen Ingenieur Edi Finger jr. der beinahe einer Herzattacke erlag, als er anno 1974 den Sieg des rot-weiß-roten Teams über die Piefke-Truppe in Cordoba ins Mikrofon kreischte. Einerlei. Leisten wir uns einen Schwenk ins Nachbarland, genauer in den Freistaat Bayern. Die Fans der zusammengekauften Millionärsclique namens FC Bayern München haben im Sommer 1997 ein unschönes Beispiel für Völkerzerrüttung geliefert. Bei einem Spiel der Champions League zwischen dem besagten Münchner Fußballverein und der Mannschaft von Besiktas Istanbul, so vermeldete die taz pikiert, »griffen die Bayernfans zu neuen Mitteln rassistischer Diskriminierung und bereicherten den ›Ausländer raus‹-Ruf um eine bajuwarische Variante. Sie hielten den Besiktas-Anhängern von der berüchtigten Südkurve des Münchner Stadions aus geschlossen die Plastiktüten der Lebensmittelkette Aldi entgegen.« Natürlich taten die (leider allesamt wahlberechtigten) Bayernfans dies nicht lautlos. Die »kaum Schickeriaverdächtigen Bayern-Anhänger« (taz) skandierten lautstark »Geht zu Aldi«. Die Aktion machte Skandal. Nicht nur, daß sich die türkische Gemeinde Deutschlands (mit mehr als zweieinhalb Millionen Mitgliedern) empört äußerte, auch im türkischen Mutterland war die Angelegenheit Anlaß für nationale Empörung. Die auflagenstärkste Tageszeitung Hürriyet brachte mehrere Beiträge auf Seite eins mit dem Tenor, die Türken seien als Asoziale diskriminiert worden. Sogar eine Stellungnahme aus der Aldi-Zentrale Süd war zu lesen: Eine Sprecherin verkündete, das Unternehmen sei »stolz auf unsere türkischen Kunden« und protestiere »gegen Leute, die unsere Plastiktüten mißbrauchen«.
Was ist zu tun? Eine Untersuchung (Soziologen aufgepaßt!) müßte zunächst klären, wie hoch der Prozentsatz der Bayern-Südkurvler ist, die selber in Aldi machen. Zweitens: Wer hatte die Idee mit den Plastiktüten? Drittens: Auf welche anderen Ethnien ist man bei Aldi noch stolz? Und viertens: Liegt tatsächlich ein Plastiktütenmißbrauch vor? Bleiben wir einmal kurz bei Punkt vier. Möglicherweise hat sich mit dem Einsatz der Tüten ja ein Bedeutungswandel angekündigt, eine semantische Verschiebung dergestalt, daß jetzt in Ermangelung von Fahnen Plastiksäcke geschwenkt werden? Das Banner mit dem A als öffentliche Aufforderung zum Konsum in deutschen Discountläden? Sinnigerweise haben die deutschen Fans den Türken ja nicht bedeutet, sich nach Anatolien zu verzupfen, statt dessen rieten sie zum Abmarsch in einen Supermarkt. Volkswirtschaftlich gedacht, aber in der Umsetzung doch eindeutig verhetzend mißlungen. Wenn der Nationalrausch verflogen ist, werden sie sich alle wieder an der Aldi-Kasse treffen, und keiner wird das Maul aufreißen, sondern stumm und still seinen völkerverbindenden, symbolischen Dauerniedrigpreis entrichten.
Das waren die Jahre, als die Verzichtästhetik der Aldi-Gruppe so richtig zur Geltung kam. Nach dem Motto: Seht her, wir sind uns immer treu geblieben, entpuppte sich die Kette plötzlich als eine
Weitere Kostenlose Bücher