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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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Konsumgütern gegenüber, beispielsweise Kaugummi und Nylonstrümpfen, die die Besatzungsmacht hierzulande angeschleppt hatte? Welcher Nachgeborene hatte nicht die Stimmen von Eltern und Großeltern im Ohr, die stets entschuldigend verkündeten, »so was habe es ja vor dem Krieg gar nicht gegeben«. Und mit »so was« Tomatenketchup, Toastbrot, Pizza, Avocados und ähnliche Errungenschaften der Zivilisation meinten.
    Dann wuchs das Wirtschaftswunder, und an seinem Busen nährte es die Studentenrevolte: Jene klugen Hitzköpfe aus der Mittelschicht, die damals alles satt hatten (und heute richtig satt sind) und die sich partout nicht mit dem Status quo zufriedengeben wollten. Hans Magnus Enzensberger, der die Epoche wie kein Zweiter politisch analysiert und kommentiert hat, schrieb 1982: »Die vollen Schaufenster, die günstigen Sonderangebote, die preiswerten Urlaubsreisen; das alles war nicht nur eitel Lug und Trug, es war der reinste Terror. Folgerichtig müßte ein Kaufhaus als erstes Fanal des ›bewaffneten Kampfes‹ in Deutschland herhalten. Die ›Massen‹ waren perplex. Es wollte ihnen partout nicht in den Kopf, daß die politische Avantgarde ihnen den verhängnisvollen Starmix ersparen wollte, das idiotische Rennsportrad mit Fünf-Gang-Kettenschaltung, die heimtückische Elektroheizdecke und das ekelhafte 27teilige Kaffeeservice. Dieser Mangel an Einsicht war aber leicht zu erklären. Die Leute waren eben durch jahrelange Manipulation verblödet, und es war nachgerade schwierig, um nicht zu sagen unmöglich geworden, die ruhmreiche Arbeiterklasse von einem Haufen unbelehrbarer Konsumidioten zu unterscheiden.«
    Die »Konsumidioten« ließen sich naturgemäß davon nicht beeindrucken und konsumierten eifrig weiter. Die linken Verzichtslehren, wie die Ästhetik des Verzichts überhaupt, paßten nicht in die »Überflußgesellschaft« – auch so ein Wort, das man seit den Schultagen, als es in Besinnungsaufsätzen abgefeiert werden mußte, nicht mehr gehört hat. Keiner (bis auf den Wagenbach Verlag und seine versprengten Anhänger) wollte mehr Pier Paolo Pasolinis Freibeuterschriften, seine glühenden Anklagen gegen den consumismo hören, und ein Klassiker der Konsumkritik, Wolfgang Schmidbauers Homo consumens aus dem Jahr 1972, ist irgendwie auch in Vergessenheit geraten.
    Man wird sich bei dieser Gelegenheit fragen müssen, ob nicht die geballte Konsumkritik, die seit der Apo-Zeit zum Gebetsmühlenritual der Aufklärung gehört, in Wirklichkeit eine Kritik der Verschwendung ist. Denn Konsum an sich ist noch keine Angelegenheit, die zu geißeln wäre. Der Münchner Kunsthistoriker Walter Grasskamp hat darauf hingewiesen, man möge sich gefälligst wieder auf den Wortsinn von Konsum – nämlich: Verbrauch – besinnen; dann sei sogleich einsehbar, daß die Rede vom »Konsumterror« ein geschickter Schachzug der Studentenbewegung gewesen sei. Leider ist mit der zeitgenössischen Art des Konsums aber unabdingbar eine Materialschlacht verbunden, deren Überreste in (weltweit) ständig wachsenden Müllmengen sichtbar wird. Die Wegwerfmentalität zelebriert sich selbst in die Sackgasse. Die Inszenierung des Kaufrausches war in den achtziger Jahren auf neue, einsame Höhen geklettert, indem sie den Konsumenten einflüsterte, nicht das Besitzen sei das Seligmachende, sondern der Akt des Kaufens als solcher. Wer kennt nicht den Moment, da er zu Hause der vornehm steif knisternden Riesentüte mit den Kordelträgern den Anzug, das Kostüm entnimmt – und sich sogleich auf eine existentielle Art ernüchtert findet. Augenblicklich setzen Rechtfertigungsstrategien ein: Es sei, trotz des hohen Preises, doch in gewisser Weise ein Schnäppchen gewesen, ja mehr noch, man habe es schließlich wirklich gebraucht, es lasse sich auch wunderbar mit der und der Hose/Bluse kombinieren und so fort. Verflogen ist der Taumel, der einen in der Boutique, in der HOB/DOB-Abteilung, erfaßt hatte; nicht zuletzt, weil der charmante, devote, diskrete Verkäufer gesagt hatte: Wenn überhaupt irgendwer das tragen könne, dann Sie. Und wieder war man diesem einlullenden Singsang aufgesessen, hatte das Wollen vor das Brauchen gesetzt.
    »Gedenkt unsrer/Mit Nachsicht.« Das hatte Brecht gefordert. Eine zeitlose Aufforderung, die auch für die Konsumschwelger gelten könnte, wenn nicht damals schon klar gewesen wäre, daß es auf Dauer so nicht gehen kann. Heute ist an die Stelle der Überheblichkeit, mit der die Nachgewachsenen darüber zu

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