Die Aldi-Welt
Anschluß an Wohlstand, Bildung, Gesundheit verliert. Es gibt Kulturkritiker, die in dieser radikalen Bereitschaft zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsteile einen Sinnzusammenhang, eine geistige Achse bis hin zur faschistischen »Volksgemeinschaft« sehen. Diese habe, schreibt Eva Hesse in ihrem Essay Wachstum und Wucher (1985) den Ausschluß von allem Widersprechenden und Störenden aus der Wahrnehmungsebene betrieben, bis hin zur »Vernichtung des Nichtidentischen in Konzentrationslagern, der Internierung der Störenden in Irrenanstalten, der Aussperrung aller Dissidenten von Berufs- und Existenzmöglichkeiten. Über eine ähnliche Struktur versucht sich derzeit das Industriesystem zu retten, indem es immer größere Segmente der Gesellschaft an die Peripherie der Nichtrelevanz drängt, etwa durch Ausschluß vom Arbeitsprozeß: Unsere junge Generation ist dabei von vorneherein benachteiligt.«
Lassen wir die Faschismuskeule vorläufig im Halfter. Denn seit geraumer Zeit bekennen sich Politiker von B. Clinton über T. Blair bis R. Scharping zu einer Schule, die in der letzten Dekade unter dem Namen Kommunitarismus den vielen vorhandenen einen weiteren -ismus hinzugefügt hat. Amerikanische Vordenker wie Michael Walzer, Michael Sandel, Alasdair Maclntyre, Charles Taylor haben die Arbeit geleistet, von der der Soziologieprofessor Amitai Etzioni den Rahm in einer Art Popversion abschöpfte (Die Entdeckung des Gemeinwesens, dt. 1995). Etzioni sucht in seinem Buch den dritten Weg zwischen einer zunehmend ins Kraut schießenden Marktwirtschaft und dem starr reglementierten, nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat. Diese Melodie leuchtete in Deutschland Politikern unterschiedlicher Couleur ein. Kurt Biedenkopf war ebenso angetan wie Joschka Fischer, Roman Herzog verwendet in seinen Ruck-Reden kommunitaristische Bauklötzchen, und dem Politikmanager Gerhard Schröder leuchten diese Ideen auch sogleich ein (Schröder scheint vieles auf Anhieb einzuleuchten, solange es dem höheren Ziel dient). Im Gegensatz zu den brachialen Auswüchsen des Neoliberalismus betonen die Kommunitaristen Werte wie Gemeinwohl, Solidarität und Herkunftsbewußtsein. Der (Neo)Liberalismus, so die Kernthese, habe stets den Stellenwert des Subjektes überbewertet. Er ignoriere Religion, Sprache und kulturelle Tradition. Dieser exzessive Individualismus habe maßgeblich zum Sinn- und Werteverlust in den modernen Industriegesellschaften beigetragen. Der Kommunitarismus will nun diese Wunde der Moderne heilen und zur Widerherstellung von Gemeinschaft und Zugehörigkeitsgefühl beitragen. Vielleicht sollten die »Kommunitarier« (A. Etzioni) – klingt schon verdächtig nach anderen Komm-binationen – sich einmal gedanklich auf eine Gemeinschaft von Aldi-Kunden einlassen. Das wäre der kleinste gemeinsame Nenner für eine Keimzelle des Staates. Alle wahlberechtigt, und alle nur einem Ziel verschworen, das sie eint und gleichzeitig entzweit. Zerrissen von einer grausamen Dialektik des Kaufen-Müssens und Kaufen-Wollens, sind sie alle Opfer in einem Krieg, den der in Paris lehrende Marketingstratege Marcel Corstjens in einem gleichnamigen Buch unverblümt Store Wars nennt. Untertitel The Battle for Mindspace and Shelfspace – der Kampf um Regalplatz und Bewußtseinsplatz (letzteres im Hinblick auf das Hirn der Konsumenten gemünzt). Da bramarbasiert das großdeutsche Feuilleton über Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen, anstatt sich um die Ecke in den nächsten Supermarkt zu begeben. Wenn Kultur etwas mit Nahrungsaufnahme zu tun hat, ist dort die Schnittstelle, an der der Kulturkampf entschieden wird. Kriegsherren wie die Gebrüder Albrecht sind in diesen »Store Wars« Strategen von globaler Durchschlagskraft. Bloß daß sie ihren Feldzug in homöopathischen Dosen, in 3000 Filialen, über die Republik verteilt haben und ihren Kampf für die Öffentlichkeit unhörbar austragen.
Auf dem Weg in die neue Bescheidenheit
»Meine erste Banane!« titelte das Satire-Magazin Titanic nach dem Mauerfall und zeigt eine junge Frau in nachlässiger Kleidung und öligen Haaren, die gerade dabei war, eine Salatgurke wie eine Banane zu schälen. Das Bananenwitzchen hatte mindestens einen doppelten Boden, warf es doch – möglicherweise unbeabsichtigt – neben der Ossi-Verspottung auch ein denkwürdiges Schlaglicht auf unser Staatswesen (West). Hatte nicht auch die Bundesrepublik »irgendwie« so angefangen – mit einem großen Unwissen all jenen
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