Die Aldi-Welt
Erfolge, die hier bislang vorgeführt wurden – sozusagen einen metaphysischen Knackpunkt, den zu beleuchten sich lohnt. In allen Verlautbarungen, Artikeln, Gerüchten wird immer wieder die enge Anbindung der Brüder an die katholische Kirche hervorgehoben. Beide gelten als strenggläubig. Da tauchen dann schon Zweifel an dieser Strenggläubigkeit auf, wenn man das Geschäftsgebaren der Aldi-Brüder und die Lehre der katholischen Kirche – vor allem in Hinblick auf die sozialen Verpflichtungen – in einen Zusammenhang zu bringen versucht. Dazu ein Blick in die Geschichte und auf einen Mann, dessen Denken maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung der katholischen Soziallehre hatte: Oswald von Nell-Breuning. Norbert Blüm nannte den Theologieprofessor gar »die personifizierte katholische Soziallehre«. Nell-Breuning hatte in seinem biblisch langen Leben – er starb 1991 im Alter von 101 Jahren – rund 1800 Bücher, Aufsätze und Artikel geschrieben. Im Auftrag von Pius XI. entwarf er 1931 die Sozialenzyklika Quadragesimo anno, in der Nell-Breuning das Subsidiaritätsprinzip entwickelte: die Versorgung des Menschen solle nicht von einem übermächtigen Staat ausgehen, sondern ein »Vorrecht der jeweils kleineren Gemeinschaft« sein – ein für die damalige Haltung der Amtskirche ungewöhnlich fortschrittliches Papier, das für die katholische Sozialethik Elemente aus der Gesellschaftsanalyse von Marx aufgriff. Die Kirche steht in dem Spannungsfeld zwischen Arbeit und Kapital traditionell auf schwankendem Boden. Das Ziel einer katholischen Sozialethik, so Nell-Breuning, müsse die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit sein. Das mag heute harmlos oder durch allzulangen Politikermißbrauch abgelutscht klingen – Nell-Breunings Ideen hatten Sprengkraft. Vielleicht zuviel, denn die Kirchenoberen beließen es erst einmal bei der Formulierung dieses hehren Ziels. Die eigentliche Leistung war es, einen Zusammenhang zwischen Kirche (und also ihren Mitgliedern) und gesellschaftlicher Verantwortung herzustellen. So sei es Aufgabe der Kirche, die normative Grundlage eines Menschenbildes zu formulieren, das sowohl Individual- wie auch Sozialnatur erfasse. Mit anderen Worten: Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein, aber wenn er welches hat, möge er tunlichst seinem mittellosen Mitmenschen davon abgeben. Gleichzeitig sah es Nell-Breuning als die Aufgabe der Kirche an, Grundzüge einer politischen und ökonomischen Ordnung zu entwickeln. Demnach ist die Gesellschaft der Raum, »in dem die vom Schöpfer intendierten Werte aus Möglichkeiten zu Wirklichkeiten erhoben werden können und sollen«. Reines Nutzdenken ist verpönt. Eine Kirche, die ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nimmt, muß aktiv in die Entwicklung der Gesellschaft eingreifen – zumindest muß sie bei ihren Mitgliedern und Lobbyisten das Gewissen für soziale Gerechtigkeit wecken und schärfen. Dies alles natürlich vollkommen im Sinne der Bergpredigt, und somit in einer Haltung, die einem nach durchschnittlich christlichen Werten erzogenen Menschen geläufig sein müßte; einem Strenggläubigen zumal.
Möglichkeiten zu Wirklichkeiten: Die biblische Aufforderung, die Menschen sollten sich die Erde Untertan machen, hat Jahrhunderte mit durchschlagendem Erfolg funktioniert. Aber auch die Kirche hat einsehen müssen, daß da manches aus dem Ruder gelaufen ist. Oswald von Nell-Breuning jedenfalls bedrängten »ernsthafte Zweifel, ob es nicht auch unübersteigbare Grenzen gibt, ob die Art, wie wir unsere Herrschaft über die Natur ausgeübt haben, nicht vielleicht doch ein Mißbrauch, eine Ausbeutung gewesen ist, wogegen die Natur jetzt zurückschlägt«. Der katholische Denker geht sogar noch einen Schritt weiter (immerhin erst in den achtziger Jahren): »Es besteht die Gefahr, daß wir unversehens die Biosphäre zerstören und das physische Dasein der Menschheit auslöschen.« – Irgend etwas in der Richtung ist mit Sicherheit auch an die Ohren der Gebrüder Albrecht gedrungen; bei einem sonntäglichen Gottesdienst, bei einer Predigt eines heißspornigen Kaplans – hätte das einem strenggläubigen Milliardär nicht zu denken geben müssen? Kehret um und tuet Buße? Ohne sich in das Aufgabengebiet der Geistlichkeit allzuweit einmischen zu müssen, kann man die These aufstellen: Hier hat irgendein Bischof geschlampt. Es war doch stets eine Spezialität Roms, solche wandelnden Opferstöcke auch zu schlachten. Eine Papstaudienz erster Klasse hätte
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