Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
während des Sommers in diesen Höfen und auf den platten Dächern hinbringen, so ergibt es sich, daß ein luftiger Zuschauer wie ich, der aus den Wolken auf sie niedersehen kann, manchen Blick in ihr häusliches Leben zu thun im Stande ist.
Ich genieße einigermaßen die Vortheile des Studenten in der berühmten alten spanischen Geschichte, dessen Auge sich ganz Madrid dachlos darbot; und mein gesprächiger Knappe, Mateo Ximenes, vertritt gelegentlich die Stelle meines Asmodeus, um mir Anecdoten über die verschiedenen Wohnungen und ihre Insassen mitzutheilen.
Ich mache mir jedoch lieber selbst muthmaßliche Geschichten und kann so stundenlang sitzen und aus zufälligen Begebenheiten und Andeutungen, die unter meinen Augen vorgehen, das ganze Gewebe von Planen, Intriguen und Beschäftigungen mancher der geschäftigen Sterblichen da unten ausspinnen. Es gibt kaum ein hübsches Gesicht oder eine einnehmende Gestalt, die ich täglich sehe, von denen ich mir nicht so allmählig eine dramatische Skizze gemacht habe, obgleich manche meiner Charaktere gelegentlich in geradem Widerspruch mit der ihnen zugetheilten Rolle handeln und so mein ganzes Drama verwirren werden. Als ich vor einigen Tagen die Gassen der Albaycia mit meinem Augenglase musterte, sah ich die Prozession einer jungen Nonne, die im Begriffe war, den Schleier zu nehmen, und bemerkte mancherlei Umstände, welche meine lebhafte Theilnahme an dem Schicksale dieses jungen Wesens erregten, die im Begriffe stand, sich in ein lebendiges Grab verschließen zu lassen. Ich versicherte mich zu meiner Freude, daß sie schön war; und aus der Blässe ihrer Wangen ging es hervor, daß sie eher ein Opfer als eine sich freiwillig dem Himmel weihende Fromme war. Sie war in bräutlichen Putz gehüllt und hatte einen Kranz weißer Blumen in den Haaren; aber ihr Herz sträubte sich gewiß über diese wunderliche geistige Verbindung und seufzte nach seiner irdischen Liebe. Ein schlanker, ernstaussehender Mann schritt bei der Prozession in ihrer Nähe; es war augenscheinlich der tyrannische Vater, der aus irgend einem frömmelnden oder schmutzigen Grunde dieses Opfer erzwungen hatte. Unter dem großen Geleite war ein brauner schöner Jüngling, in andalusischer Tracht, der ein tiefschmerzvolles Auge auf sie zu fesseln schien. Er war ohne Zweifel der geheime Liebhaber, von welchem sie für ewig getrennt werden sollte. Mein Unwille wuchs, wie ich den boshaften Ausdruck gewahrte, welcher sich in den Zügen der begleitenden Mönche und Klosterbrüder mahlte. Die Prozession erreichte die Kapelle des Klosters; die Sonne schien zum letzten Male auf den Kranz der armen Novize, als sie die verhängnißvolle Schwelle überschritt und in dem Gebäude verschwand. Die Menge strömte hinein mit Mönchskapuzen, Kreuzen und Gesang; der Liebhaber weilte einen Augenblick an dem Thore. Ich konnte den Aufruhr seiner Gefühle ahnen; allein er bemeisterte sie und trat ein. Es war eine lange Pause – ich dachte mir das Schauspiel, welches das Innere der Kapelle bot: die arme Novize ihres vorübergehenden Putzes beraubt, in das Klostergewand gekleidet, der bräutliche Kranz aus ihren Haaren genommen, ihr schönes Haupt der langen seidnen Locken baar – ich hörte sie das unwiderrufliche Gelübde flüstern. Ich sah sie auf ihrer Bahre ausgestreckt; die Blässe des Todes über sie verbreitet; der Leichen-Gottesdienst war vorüber; ich hörte die tiefen Töne der Orgel und das klagevolle Requiem, das die Nonnen sangen; der Vater sah mit hartem fühllosem Gesichte zu. Den Liebhaber – doch nein, meine Phantasie mochte den Liebhaber nicht schildern; das Gemälde blieb hier leer.
Nach einer Weile strömt der Haufe wieder heraus und zerstreute sich auf verschiedenen Wegen, um sich des sonnigen Lichtes zu erfreuen, und sich in die regen Scenen des Lebens zu mischen; das Opfer aber blieb drinnen. Fast die letzten, welche heraus kamen, waren der Vater und der Liebhaber; sie waren in ernster Unterhaltung. Der letztere war heftig in seinem Geberdenspiel; ich erwartete irgend eine gewaltsame Entwicklung meines Drama’s; aber die Ecke eines Hauses trat dazwischen und schloß die Scene. Mein Auge hat sich seitdem mit schmerzlicher Theilnahme auf das Kloster gewendet. Ich sah spät in der Nacht ein Licht in dem entlegenen Fenster eines seiner Thürme brennen. »Dort,« sagte ich, »sitzt die unglückliche Nonne in ihrer Zelle und weint, während ihr Geliebter vielleicht in vergeblichem Kummer in der Gasse unten
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