Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Vielseitigkeit ihrer eigenen Talente nicht zu kennen, und ist in der That gewöhnt, sie nur zufällig, wie ein Kind, zur Unterhaltung des häuslichen Kreises zu üben. Ihr Beobachtungsgeist und ihr Tact müssen ungemein rasch und fein sey, denn sie hat ihr Leben in dem Schoos ihrer Familie hingebracht und kann nur zufällig und vorübergehend auf die mannigfaltigen Charaktere und Züge geblickt haben, welche sie in Augenblicken geselligen Frohsinns, wie der, von dem hier die Rede ist, aus dem Stegreife zum Besten gab. Mit Freude sieht man die Liebe und Bewunderung, mit welcher jeder aus dem Hause auf sie blickt; es wird nie, selbst nicht von den Bedienten, anders geheißen, als
La Ninna,
das Kind, eine Bezeichnung, welche, so angewendet, etwas eigenthümlich liebliches und zärtliches in der spanischen Sprache hat.
Ich werde nimmer der Alhambra gedenken, ohne mich der lieblichen kleinen Carmen zu erinnern, wie sie in deren Marmorsälen in glücklicher und unschuldiger Lust spielte, zu dem Klang der maurischen Castagneten tanzte, oder den Silberton ihrer Stimme mit der Musik der Brunnen verschmolz.
Bei dieser festlichen Gelegenheit wurden viele seltsame und unterhaltende Sagen und Geschichten erzählt, von denen ich viele wieder vergessen habe; eine derselben aber fiel mir am meisten auf und ich will mich bemühen, dem Leser eine Unterhaltung zu bereiten.
Sage von dem Prinzen Ahmed al Kamel; oder der Liebespilger.
Es war einst ein maurischer König von Granada, welcher nur einen Sohn hatte, Ahmed genannt, dem seine Höflinge den Beinamen
al Kamel,
der Vollkommne, gaben, wegen der unbezweifelbaren Zeichen von Uebervortrefflichkeit, welche sie schon in seiner Kindheit bei ihm bemerkten. Die Astrologen bestärkten sie in ihrer Ahnung, indem sie alle zu seinen Gunsten vorsagten, was zu einem vollkommnen Prinzen und einem glücklichen König gehörte. Eine Wolke nur ruhte auf seinem Schicksal und selbst diese war von rosiger Farbe. Er würde, hieß es, verliebten Charakters seyn und durch diese zärtliche Leidenschaft in große Gefahren gerathen; wenn er aber den Lockungen der Liebe bis zu seinem mannbaren Alter fern gehalten werden könnte, würden diese Gefahren abgewendet und sein späteres Leben eine ununterbrochene Bahn des Glückes seyn.
Um alle Gefahren dieser Art abzuwenden, beschloß der König weise, den Prinzen in einer Einsamkeit erziehen zu lassen, wo er nie ein weibliches Antlitz sehen, ja, selbst den Namen Liebe nicht hören könnte. Zu diesem Ende baute er einen schönen Palast auf dem Gipfel des Hügels jenseits der Alhambra, inmitten entzückender Gärten, aber von hohen Mauern umgeben; dieß ist in der That derselbe Palast, den man heut zu Tag unter dem Namen Generalife kennt. In diesen Palast wurde der junge Prinz eingesperrt und der Bewachung und dem Unterricht von Eben Bonabben übergeben, einem der gelehrtesten und ausgetrocknetsten der arabischen Weisen, der den größten Theil seines Lebens in Aegypten mit dem Studium von Hieroglyphen und mit Nachforschungen in den Gräbern und Pyramiden hingebracht hatte und mehr Reize in einer Mumie fand, als in den verführerischesten lebendigen Schönheiten. Der Weise erhielt den Befehl, den Prinzen in allen Arten von Kenntnissen zu unterrichten, eine ausgenommen – er sollte mit der Liebe gänzlich unbekannt bleiben. »Wende zu diesem Zweck jede Vorsicht an, die dir nöthig scheint,« sagte der König, »allein bedenke, o Eben Bonabben, wenn mein Sohn etwas von diesem verbotenen Wissen lernt, so lange er unter deiner Pflege ist, so sollst du mit deinem Kopfe dafür büßen.« Ein verwelktes Lächeln überflog das trockne Gesicht des weisen Bonabben bei dieser Drohung. »Möge dein königliches Herz so unbesorgt um deinen Sohn seyn, wie das meinige um meinen Kopf ist: sehe ich wohl aus, wie jemand, der in der müßigen Liebe Unterricht gibt?«
Unter der wachsamen Sorge des Philosophen wuchs der Prinz in der Einsamkeit des Palastes und seiner Gärten auf. Er hatte schwarze Sklaven zur Bedienung – stumme Scheusale, die nichts von Liebe wußten, oder wenn es der Fall war, keine Worte hatten, es mitzutheilen. Seine geistige Ausbildung war die besondere Sorge Eben Bonabben’s, der ihn in die tiefsinnige Weisheit Aegyptens einzuweihen suchte; allein darin machte der Prinz kleine Fortschritte und es war augenscheinlich daß er keine Neigung zur Philosophie hatte.
Er war jedoch auffallend lenksam für einen jungen Prinzen, bereit jedem Rath zu folgen und von
Weitere Kostenlose Bücher