Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
den Thurm. Der Prinz trat ihm lebendig entgegen. »O weiser Eben Bonabben,« rief er: »du hast mir vieles Wissen der Erde enthüllt; aber es gibt einen Gegenstand, über den ich in der tiefsten Unwissenheit bin und gern belehrt wäre.«
»Mein Prinz hat nur die Frage vorzulegen und alles in dem beschränkten Kreise des Verstandes seines Dieners ist zu seinem Befehl.«
»So sage mir denn, du Ausbund von Weisheit, was ist das Wesen des Dinges, das man Liebe nennt?«
Der weise Eben Bonabben war wie von einem Donnerkeil getroffen. Er zitterte und erblaßte und es war ihm, als säße sein Kopf ganz locker auf den Schultern.
»Was konnte meinen Prinzen zu einer solchen Frage verleiten? – wo mag er ein so müssiges Wort gehört haben?«
Der Prinz führte ihn an das Thurmfenster. »Höre, o Eben Bonabben!« sagte er. Der Weise lauschte. Die Nachtigal saß in einem Dickicht unten am Thurm und sang ihrer geliebten Rose; aus jedem blühenden Zweig und jeder duftigen Laube stiegen melodische Töne empor und Liebe – Liebe – Liebe war der stets wiederkehrende Ton.
»Allah Akbar! Gott ist groß!« rief der weise Bonabben: »wer kann sich anmaßen, dieses Geheimniß dem Herzen des Menschen vorenthalten zu wollen, wenn sich selbst die Vögel der Luft vereinigen, es zu verrathen?«
Darauf wandte er sich zu Ahmed und sagte: »O mein Prinz! Schließe dein Ohr diesem verführerischen Klange! Verhülle deinen Geist diesem gefährlichen Wissen. Wisse, diese Liebe ist die Ursache der Hälfte aller Uebel der unglücklichen Menschheit. Sie ist’s, die Bitterkeit und Streit zwischen Brüdern und Freunden erzeugt, verrätherischen Mord und verheerenden Krieg gebiert. Kummer und Sorgen, öde Tage und schlaflose Nächte sind ihr Gefolge. Sie zerstört die Blüthe und vergiftet die Freuden der Jugend und bringt die Uebel und die Wehen des vorzeitigen Alters herbei. Allah erhalte dich, mein Prinz, in gänzlicher Unwissenheit über dieses Ding, das Liebe genannt wird.«
Der weise Bonabben zog sich eilig zurück und ließ den Prinzen in nur noch größerer Verwirrung zurück. Vergebens versuchte er, sich die Sache aus dem Sinn zu schlagen; sie blieb stets oben auf in seinen Gedanken und quälte und erschöpfte ihn mit eiteln Vermuthungen. »Gewiß,« sagte er sich, als er dem melodischen Gesang der Vögel lauschte: »es ist kein Kummer in diesen Tönen: alles scheint Zärtlichkeit und Freude! Wenn die Liebe so viel Unglück und Streit erzeugt, warum schmachten diese Vögel nicht in der Einsamkeit, oder zerreißen einander in Stücken, statt fröhlich in den Büschen umher zu flattern und mit einander in den Blumen zu spielen?« –
Er lag eines Morgens auf seinem Lager und sann über diesen unerklärlichen Gegenstand nach. Das Fenster seines Gemaches war offen, um den sanften Morgenwind herein zu lassen, der beladen mit dem Dufte der Orangenblüthen aus dem Darrothal herauf kam. Die Stimme der Nachtigal, stets die gewohnten Töne singend, wurde schwach gehört. Während der Prinz lauschte und seufzte, entstand ein plötzliches Rauschen in der Luft; eine schöne Taube, von einem Habicht verfolgt, schoß in das Fenster und fiel keuchend auf den Boden, während der Verfolger, seiner Beute baar, zu den Bergen hinüberstrich.
Der Prinz nahm den schwer athmenden Vogel auf, glättete sein Gefieder und koßte ihn an seinem Busen. Als er ihn durch seine Liebkosungen beruhigt hatte, setzte er ihn in einen goldnen Käfig und bot ihm mit eigenen Händen das weißeste und schönste Waizenbrod und das reinste Wasser. Der Vogel aber wollte nichts fressen und saß schmachtend und gramvoll da und stieß jammernde Seufzer aus.
»Was fehlt dir?« sagte Ahmed: »Hast du nicht alles, was dein Herz wünschen kann?«
»Ach, nein!« erwiederte die Taube: »bin ich nicht von dem Freunde meines Herzens getrennt, und noch dazu in der Frühlingszeit, der wahren Zeit der Liebe?«
»Der Liebe!« wiederholte Ahmed: »ich bitte dich, mein hübsches Thierchen, kannst du mir sagen, was Liebe ist?«
»Zu gut kann ich dies, mein Prinz. Sie ist die Qual von einem, das Glück von zweien, der Streit und die Feindschaft von dreien. Sie ist ein Zauber, welcher zwei Wesen mit einander verbindet und sie durch köstliches Gleichgefühl vereinigt, ihr Zusammenseyn zum Glück, ihre Trennung zum Unglück machend. Gibt es kein Wesen, zu welchem du durch diese Bande zärtlicher Neigung hingezogen wirst?«
»Ich liebe meinen alten Lehrer, Eben Bonabben, mehr als irgend ein
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