Die Alptraum-Frau
eingeschaltet. Das Wort Jeans leuchtete blau und das Wort Corner rot.
Das immer wieder in verschiedenen Intervallen.
Als Eingang diente eine übergroße Saloontür, dem Wilden Westen nachgemacht. So sah es auch im Innern aus. Cowboy- und Indianerposter hingen an den Wänden. Zwischen den Tischen und Regalen schwangen immer wieder Pappcowboys ihre Lassos. Es war Western-Musik zu hören, und auch die Umkleidekabinen waren mit Schwingtüren versehen.
Viel Betrieb herrschte nicht. Nur wenige Kunden schlichen starrend an den ausgestellten Waren entlang. Eine junge, dunkelhäutige, sehr schlanke Verkäuferin mit Rasta-Zöpfen und grünen Plastikohrringen sowie grün geschminkten Lippen hatte die beiden neuen Kunden gesehen und löste sich von der hohen Box, aus der die Melodie eines Western-Songs klang. Lässig schlenderte sie näher, was Janine zu einem Grinsen veranlasste, denn die Kleine konnte auf ihren Plateau-Sohlen kaum normal gehen und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Sohn braucht eine Jeans.«
»Okay.« Die Coole schaute Benny kurz an. »Deine Größe haben wir dahinten bei den Kabinen. Hast du einen besonderen Wunsch, was das Label betrifft?«
»Ja.« Er sagte eine Nummer und fügte dann hinzu. »He, du hast aber irre Zöpfe.«
»Findest du?«
»Klar.«
»Kostet mich immer viel Zeit, die so hinzukriegen. Ist echt Stress, kannst du mir glauben.«
»Lass dich doch rasieren. Machen viele.«
»Soll ich da lachen?«
»Sei nicht so vorlaut!« flüsterte Janine und schob ihren Sohn an.
Sie gingen beide der leicht wackelnden Verkäuferin nach, die sie in den dunkleren Teil des Ladens führte, in den kein Tageslicht mehr hineindrang und künstliche Lichtquellen Helligkeit schufen.
Janine war froh, einen Hocker in Sattelform entdeckt zu haben, auf dem sie sich niederlassen konnte. Ihr Sohn beschäftigte inzwischen die Verkäuferin. Er war abgelenkt, brauchte seine Mutter zunächst nicht, und sie konnte sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigen, die sich auch um Ben drehten.
Vergessen hatte er den Besuch seines Vaters bestimmt nicht. Zudem wusste niemand, ob der Mann nun tot war oder sich einfach nur abgesetzt hatte. Alles lag in der Schwebe. Sie kamen nicht voran, sie wollten es auch nicht. Sie hatten den Mann vergessen, zumindest Janine Calderon, nur nicht ihr Sohn.
Er hing an seinem Vater, und Ross hatte auch an ihm gehangen. Jetzt hatte er ihn gesehen. Als Geist oder wie auch immer. Janine wusste es nicht. Sie verstand gar nichts mehr, erinnerte sich aber an den hellen Fleck, den sie beim Betreten von Bens Zimmer gesehen hatte. Da war schon etwas gewesen. Sie wollte nicht daran glauben, dass sie sich geirrt hatte. Zurecht mit diesen Dingen kam sie trotzdem nicht. Da lief einiges nicht so, wie sie es gern gehabt hätte. Janine war froh gewesen, aus der Pleite ihres Mannes glatt und sicher herausgekommen zu sein. Sie hatte das Kapitel abgehakt, nun aber war eine neue Seite in diesem Buch aufgeschlagen worden. Ross war wieder da. Irgendwie.
»Nein, nein!« flüsterte sie. »Das gibt es nicht. Das will ich nicht wahrhaben. So etwas ist unmöglich…«
»Haben Sie was gesagt? Meinten Sie mich?« Die Verkäuferin fühlte sich angesprochen.
»Auf keinen Fall.«
»Ihr Sohn zieht sich um.«
»Das habe ich gesehen.«
Das Rasta-Girl lächelte. »Er hat zwei Hosen mitgenommen. Sie gefielen ihm beide.«
»Mal schauen.«
»Ich meine ja nur.«
Benny hatte die erste Hose angezogen. Er stieß die Schwingtür auf und trat in den Verkaufsraum, verfolgt von den fachmännischen Blicken der beiden Frauen. Er strahlte.
»Na, wie fühlst du dich?« frage Janine.
»Echt cool.«
»Ist auch nicht zu eng?«
»Nein, Mum.«
»Dann werden wir sie nehmen.«
»Und die zweite?«
Janine verdrehte die Augen. Sie dachte auch noch an die Schuhe, die Benny brauchte. Aber heute war ein besonderer Tag. Es war viel geschehen, er hatte einiges erleben müssen, und da wollte Janine nicht so sehr auf den Geldbeutel achten.
»Probiere sie an.«
»Wuchtig, Mum.«
Die Verkäuferin mischte sich wieder ein. »Die wird auch sitzen, dafür habe ich einen Blick. Der Kleine hat eine gute Figur für Jeans, finde ich. Außerdem sind Sie hier bei uns genau richtig, wir haben alle Größen, auch für Sie, Madam.«
»Nein, danke, zuerst ist der Junge an der Reihe. Als Mutter steckt man ja immer zurück.«
»Klar, die Kids gehen oft vor.«
Es verging Zeit. Benny hatte eine Hose über die
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