Die Amazonen
sich stürzte dieser jetzt vom Olymp, brauste über die Erde, die vor Angst zu beben begann, und hörte nicht auf Zeus, der ihn donnernd zurückrief. Rache und Vernichtung spannten ihre schwarzen Flügel über die Welt, die das Brausen hörte und das vergebliche Donnern. Schon war Ares über dem Ida-Gebirge, als Zeus eine Wand aus Blitzen, die vom Himmel bis zur Erde reichten, vor ihm einschlagen ließ. Sein brüllender Donner hallte böse durch die Schluchten, sodass der Krieg selbst sich zu fürchten begann und verharrte. Als schwarze |113| Nacht stand seine Rache über den Bergen von Troja, gebannt von den grell leuchtenden Einschlägen. Niemals hatte Ares sich ein Blutbad wütender gewünscht, aber er wusste, dass es seinen Sturz vom Olymp zur Folge haben würde. Er dachte an Zeus und daran, wie viele seiner Söhne im Krieg getötet worden waren. Niemals hatte sich der oberste Gott eingemischt und versucht, den Tod seiner Kinder abzuwenden.
Ares stöhnte, während er einen Schritt zurückwich und noch einen und sich schließlich wegdrehte von der Wand aus Blitzen, um, gefolgt von der Dunkelheit, zum Olymp zurückzukehren.
Das Licht der späten Nachmittagssonne, das jede Blume leuchten ließ, fiel auf Penthesileas Gesicht, die immer noch in Achills Armen lag. Alle waren stehen geblieben, um dem Kampf der Götter zuzusehen, voller Bangen, denn sie wussten, in welcher Absicht Ares gekommen war. Als müsse er sie und nicht sich schützen, hatte Achill Penthesilea ganz nah an sich gezogen. Er sah sie im Licht strahlen, beugte sich zu ihr und küsste das kleine Lächeln, das in den Mundwinkeln versteckt war und ihn verführerisch lockte: Komm!
|115| Das Ende des Amazonenreiches
Zeichen des Verfalls
Nach all den Deutungen der Prophezeiung, den Kränkungen, Opfern und Missverständnissen, die zu Lebzeiten Achills seinen Tod dramatisierten, kam sein Ende eher beiläufig. Er wurde von einem Pfeil getroffen, den Paris abgeschossen und den Apoll so gelenkt hatte, dass er Achills Ferse durchbohrte.
Die wahre Achillesferse des großen Helden war jedoch seine maßlose Hingabe an Hass und Liebe. Er sah Troja nicht mehr brennen, aber sein Name und seine Taten überlebten, wie es prophezeit war, die Jahrhunderte.
Es waren Jahrhunderte der Entzauberung Kleinasiens. Troja verschwand vom Erdboden, und die Bewohner, die das Kriegsende überlebt hatten, wurden von den Griechen ermordet. Odysseus, der Kluge, Besonnene, hatte dazu geraten, nachdem er mit ansehen musste, wie seine Gefährten eine Orgie der Grausamkeit feierten, als sie aus dem Bauch des Trojanischen Pferdes kletterten. Sie vergewaltigten, misshandelten und wüteten derart, dass Odysseus wusste: Wenn es auch nur einen Überlebenden geben |116| würde – dieser eine würde nicht ruhen, bevor die Untaten der Griechen gerächt wären.
Auch das riesige Heer der Amazonen blieb als Asche vor Troja. Ehrenvoll hatte König Priamos Penthesilea und die mit ihr gefallenen Kriegerinnen bestattet. Er hatte die Leichen waschen und salben, Scheiterhaufen errichten, das Feuer mit Wein löschen und die Asche der Amazonen in kostbare Gefäße füllen lassen. Nur wenig später versanken auch diese in den Resten der verkohlten Stadt.
Die wenigen überlebenden Amazonen verschwanden, und über tausend Jahre lang ward von ihrem Volk nichts mehr gehört oder gesehen. Man mutmaßte, die Überlebenden seien nach dem Trojanischen Krieg nach Themiskyra zurückgekehrt, aber die vielen Händler, Seefahrer und Entdecker, die durch Kleinasien und darüber hinaus reisten, fanden keine Spur von ihnen. Gerüchte kursierten, die Amazonen seien im Nomadenvolk der Sauromaten aufgegangen. Andere berichteten, es gäbe eine dem Achill geweihte Insel im Schwarzen Meer. Beim Versuch, das Heiligtum zu schänden, hätten sich die Pferde der Amazonen gegen ihre Reiterinnen gewandt und sich mit ihnen ins Meer gestürzt. Dies sei das Ende der Amazonen gewesen.
Dass die Amazonen wie vom Erdboden verschwunden waren, nährte die Gerüchte, gab Anlass zum Spekulieren und Fabulieren, und so wurden sie immer gegenwärtiger, je unauffindbarer sie waren. In der schriftlichen Überlieferung, in der Kunst und im Kunsthandwerk überdauerten ihre Namen und Taten. Die Darstellungen der Kämpfe zwischen Amazonen und Griechen wurden so zahlreich, dass ein eigener Kunstbegriff dafür entstand: die Amazonomachie. Auf Vasen, Schalen, Amphoren, Gemälden, Reliefs, Friesen, Statuen, Sarkophagen, Metopen und Gemmen zogen die
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