Die amerikanische Nacht
war nur zwei Tage am Set. Ich verstand gar nicht, was da passierte, weil die Crew aus Mexiko kam und Cordovas Assistentin alle Anweisungen auf Spanisch gab.«
»Seine Assistentin – Sie meinen Inez Gallo?«
»Ja. Aber die Crew nannte sie nur
Coyote
.«
»
Coyote
? Wieso?«
»Keine Ahnung«, antwortete sie achselzuckend.
»Haben Sie noch Kontakt zu Cordova? Oder zu sonst jemandem von damals?«
Peg schüttelte den Kopf. »Sobald du deine Rolle gespielt hattest, sobald er aus dir herausgeholt hatte, was er wollte, wie ein Chirurg, der Organe entnimmt, war er durch mit dir. Nach meinen zwei Drehtagen kam nichts mehr.«
Sie drehte sich weg von mir, um ihren Rucksack zu öffnen und eine Hundeleine herauszuholen, die sie an Leopolds Halsband befestigte.
»Ich muss jetzt wirklich gehen.«
Sie war ganz kurz davor aufzubrechen.
Ich brauchte mehr Zeit und war versucht, alle Vorsicht über Bord zu werfen und sie weiter mit Fragen zu löchern, um sie irgendwie zum Weitersprechen zu bringen und mehr zu erfahren. Doch ich spürte, dass ihre Offenheit sie verließ, der Augenblick war vorbei.
Sie stand auf und bückte sich, um ihrem Hund von der Bank zu helfen. Er bewegte sich wie ein alter Mann mit Arthritis. Sie hob seine Hinterbeine an und stellte sie auf den Boden. Dann sah sie mich mit einem flüchtigen Lächeln an.
»Machen Sie’s gut.«
»Sie auch«, sagte ich.
Und dann gingen sie und Leopold davon, zwei langsame Figuren, die sich nicht von dem Rudel Hunde aus der Ruhe bringen ließen, das an ihnen vorbeiraste.
»Ist sie eine nette Frau?«, fragte Sam und strich sich ihre Locken aus den Augen.
»Sehr nett.«
Sam kletterte auf die Bank, setzte sich ganz nah neben mich und sah mich mit festem Blick an.
»Ist sie traurig?«, fragte sie.
»Nein, Süße. Sie hat viel erlebt.«
Sie schien das als Antwort gelten zu lassen. Das war eines der Dinge, die ich an ihr liebte. Ich konnte irgendeine mehrdeutige Bemerkung über die Menschen machen, über ihre Fehler oder ihre Scheinheiligkeit, ihren tiefsitzenden Schmerz – und sie nahm meine Erklärung an, so wie sich ein alter Diamantenhändler einen unbearbeiteten Stein erst in der Hand ansah und dann einsteckte, um ihn später genauer zu untersuchen und zu schleifen.
Sam kratzte sich an der Wange und verschränkte die Finger in ihrem Schoß – sie kopierte genau, wie ich
meine
Finger verschränkt hielt –, und wir sahen schweigend zu, wie die beiden gingen.
Leopold stand neben dem Tor, bis Peg es geöffnet hatte, dann ging er hindurch. Jetzt wartete er, drehte den Kopf zur Seite und sah zu, wie Peg das Tor wieder schloss und die Hände in die Taschen steckte – all das war eine langsame Choreographie, zu der Paare erst nach vielen Jahren in der Lage waren.
Sie schlenderten in den Park hinaus. Je weiter sie sich entfernten, desto weniger waren sie zu erkennen, höchstens daran, dass sie zusammen gingen. Und auch aus großer Entfernung, als sie bloß zwei dunkle Formen waren, die nebeneinandergingen, gaben sie immer noch ein außergewöhnliches Paar ab.
57
»Ms Quincy kommt herunter«, sagte der Portier und legte den Hörer auf.
Ich beugte mich zu Sam hinunter. Ihre Ballettschuhe waren dreckig und ihr Tutu ein bisschen zerknautscht, aber ansonsten sah sie ordentlich aus.
»Ich bin stolz auf dich, Süße. Weißt du, was du heute getan hast?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du hast dir das
Purple Heart
verdient.«
Das faszinierte sie. »Was ist ein
Purple Heart
?«
»Eine Auszeichnung, die einem Soldaten für eine unglaublich tapfere Tat verliehen wird. Die erhalten die mutigsten Menschen der Welt. Du bist eine von ihnen. Weißt du noch, was du Mama sagen sollst?«
»Ich hatte
ganz viel Spaß
.«
»Perfekt.«
Die Aufzugtüren öffneten sich und Cynthia kam zum Vorschein, in einer frisch gebügelten weißen Bluse, Jeans, mit blendend goldenem Haar und Slippern von Tod’s. Ich konnte an ihrem Lächeln erkennen, dass sie vor Wut kochte.
»Hallo, Liebes«, sagte sie zu Sam. »Warte kurz am Aufzug auf Mami.«
Sam blinzelte sie an und trottete gehorsam durch die mit Marmor ausgelegte Eingangshalle.
Cynthia wandte sich mir zu. »Ich sagte
sechs
.«
»Ich weiß …«
»Sie hat für den
Nussknacker
vorgetanzt.«
»Ich hab das mit Dorothy geklärt. Sie ist bei der Bescherungs-Szene dabei.«
Sie seufzte und ging zum Aufzug zurück. »Denk an Donnerstag«, schob sie über die Schulter nach.
»Donnerstag?«
Sie drehte sich um. »Bruce und ich fahren
Weitere Kostenlose Bücher