Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
ihres Vaters, woraufhin sie sich verabschiedete und zu ihrer Großmutter nach Roslagen zog. Mama und Papa ließen sie gewähren. Wahrscheinlich dachten sie, dass sie schon zurückkommen würde, ein, zwei Monate konnte sie sich damit ruhig Zeit lassen. Das grottenschlechte Zeugnis reichte ja sowieso nicht für eine höhere Ausbildung. Oder irgendeine andere Laufbahn.
Ihre Großmutter war damals gerade sechzig geworden und führte fleißig den Kartoffelhof weiter, den sie von ihren Eltern geerbt hatte. Das Mädchen half ihr, so gut es konnte, und es mochte die alte Dame genauso gern wie damals, als es als Kind die Sommerferien hier verbracht hatte. Bis die Bombe hochging (wenn Nombeko den Ausdruck entschuldigen wollte): Eines Abends erzählte ihre Großmutter ihr am Kaminfeuer, dass sie eigentlich eine Gräfin sei. Das hatte Celestine nicht gewusst. Was für eine Enttäuschung!
»Wieso das denn?«, fragte Nombeko aufrichtig erstaunt.
»Na, du glaubst doch wohl nicht, dass ich mit der Klasse der Unterdrücker fraternisiere, oder?« Celestine war wieder in der Stimmung, die Nombeko so gut kannte.
»Aber sie war doch deine Großmutter! Und ist es doch immer noch, wenn ich mich nicht irre, oder?«
Celestine erwiderte, das verstünde Nombeko nicht. Sie jedenfalls habe nicht vor, sich noch weiter darüber auszulassen. Auf jeden Fall hatte sie damals am nächsten Tag ihren Koffer gepackt und war gegangen. Da sie nicht wusste, wohin, hatte sie ein paar Nächte in einem Heizungskeller geschlafen. Dann stellte sie sich vor Papas Bank, um zu demonstrieren, lernte Holger 1 kennen, Republikaner und Sohn eines gemeinen Postbeamten, der, vom Pathos getrieben, sein Leben im Kampf für die gerechte Sache gelassen hatte. Besser ging es ja kaum. Es war Liebe auf den ersten Blick.
»Jetzt bist du aber trotzdem bereit, zu deiner Großmutter zurückzukehren?«, erkundigte sich Nombeko.
»Ja, verdammt, hast du etwa eine bessere Idee? Dann raus damit! Wir haben hier immerhin deine verschissene Bombe im Schlepptau. Ich für meinen Teil würde damit lieber nach Drottningholm fahren und den Scheiß direkt vorm Schloss zünden. Das wäre zumindest ein ehrenvoller Tod.«
Nombeko wies sie darauf hin, dass sie sich nicht die Mühe machen müssten, die vierzig Kilometer zum königlichen Schloss zu fahren, um die Monarchie und noch so einiges mehr auszuradieren, das konnten sie jederzeit auch aus der Entfernung regeln. Aber empfehlen würde sie es trotzdem nicht. Vielmehr lobte sie Celestines Idee mit ihrer Großmutter.
»Also dann ab nach Norrtälje«, sagte sie und wandte sich wieder dem Gespräch mit Holger 2 zu.
Nummer zwei und Nombeko versuchten, die Spuren der Gruppe zu verwischen, um zu verhindern, dass Agent B sie erneut aufspürte, oder wer auch immer zuletzt wen aufgespürt hatte.
Nummer eins musste seinen Job in Bromma sofort aufgeben. Und durfte auch nie wieder zu der Adresse in Blackeberg zurückkehren, unter der er gemeldet war. Kurz und gut, er sollte dem Beispiel seines Bruders folgen und dafür sorgen, dass er so wenig wie möglich existierte.
Eigentlich hätte der Befehl, mit dem Existieren aufzuhören, auch für Celestine gelten müssen, aber sie weigerte sich rundheraus. Im Herbst war wieder Reichstagswahl und danach die Abstimmung über die EU -Mitgliedschaft. Ohne eigene Adresse gab es keine Wahlbenachrichtigung, und ohne Wahlbenachrichtigung hätte sie ihr staatsbürgerliches Recht, für die nichtexistierende »Nieder mit dem ganzen Scheiß«-Partei zu stimmen, nicht ausüben können. Was den EU -Beitritt anging, wollte sie mit Ja stimmen. Sie rechnete nämlich fest damit, dass mit der EU alles vor die Hunde gehen würde, und da sollte Schweden auf jeden Fall mit von der Partie sein.
Nombeko dachte sich im Stillen, dass sie von einem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung kein Stimmrecht hatte, in ein Land gezogen war, in dem einige kein Stimmrecht haben sollten. Am Ende lautete der Beschluss, dass die junge Zornige sich eine Postfachadresse irgendwo in der Gegend um Stockholm zulegen sollte. Wenn sie das Postfach leerte, musste sie eben darauf achten, dass sie nicht beobachtet wurde. Diese Maßnahme war vielleicht übertrieben, aber bisher war ja auch wirklich alles schiefgegangen, was irgendwie hätte schiefgehen können.
Weiter ließen sich die älteren Spuren nicht gut verwischen. Sie hatten nur noch die Möglichkeit, in nächster Zeit Kontakt mit der Polizei aufzunehmen und um ein Gespräch bezüglich der
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