Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
wenn die alte Dame am Ende genauso cholerisch veranlagt war wie ihre Enkelin, was würde sie dann machen? Mit oder ohne Flinte.
Holger 2 musterte seine Nombeko nervös. Sie hatte doch wohl nicht vor, der Gastgeberin die Wahrheit zu erzählen?
Nombeko lächelte ihn an. Es würde schon alles in Ordnung kommen. Rein statistisch standen die Chancen sogar ganz gut, wenn man sich vor Augen hielt, dass bis jetzt wirklich alles schiefgegangen war. Und zwar so gründlich, dass sie nun mit ihrer Atombombe auf einem Kartoffelhof saßen.
»Na?«, bohrte Gertrud nach.
Nombeko fragte, ob die Gastgeberin vielleicht für ein kleines Geschäft zu haben wäre.
»Ich erzähle ihr alles, von Anfang bis Ende, ohne Abstriche. Daraufhin wird sie uns rausschmeißen, das dürfte so gut wie sicher sein, obwohl wir gerne noch ein Weilchen hiergeblieben wären. Aber zum Dank für meine Ehrlichkeit lässt sie uns zumindest hier übernachten. Was sagt sie dazu? Ach, und hier wäre noch ein bisschen Hähnchen. Soll ich noch mal nachschenken?«
Gertrud nickte. Dann meinte sie, sie könnte sich durchaus auf dieses Arrangement einlassen, solange sie ihr versprachen, die Wahrheit zu sagen. Von Lügen wollte sie nichts wissen.
»Keine Lügen«, versprach Nombeko. »Gut, dann legen wir mal los.«
Und dann legte sie los.
Sie begann mit einer Kurzfassung der ganzen Geschichte von Pelindaba bis in die Gegenwart. Dazu die Erzählung, wie aus Holger und Holger die Holger & Holger AG geworden war. Und die Atombombe, die eigentlich dazu gedacht war, Südafrika vor den bösen Kommunisten zu schützen, die daraufhin ihren Weg nach Jerusalem antreten sollte, um das Land vor den ganzen bösen Arabern zu schützen, stattdessen aber in Schweden landete, zum Schutz vor eigentlich gar nichts (Norweger, Dänen und Finnen gelten im Allgemeinen nicht als böse genug), und weiter in einem Kissenlager in Gnesta, das aber leider abgebrannt war.
Und nun sah es unglücklicherweise so aus, dass die Bombe da draußen auf dem Anhänger stand und die Gruppe irgendein Quartier brauchte, bis der Ministerpräsident irgendwann einsah, dass er auf ihre Anfragen reagieren musste. Die Polizei war nicht hinter ihnen her, obwohl es genug Gründe dafür gäbe. Dafür hatten sie unterwegs aber den Nachrichtendienst eines anderen Landes gegen sich aufgebracht.
Als Nombeko fertig war, warteten alle auf den Urteilsspruch der Gastgeberin.
»Tja«, kam aus ihrem Mund, nachdem sie fertig überlegt hatte. »Ihr könnt die Bombe wohl schlecht da draußen rumstehen lassen. Seht mal zu, dass ihr sie in den Laderaum von meinem Kartoffellaster hinterm Haus bugsiert, und dann stellt ihr die ganze Chose wohl am besten in die Scheune, damit keiner von uns zu Schaden kommt, wenn das Ding doch noch hochgeht.«
»Das dürfte kaum was helfen …«, begann Holger 1, doch Nombeko fiel ihm ins Wort.
»Du warst ein Musterbeispiel an Schweigsamkeit, seit wir hier sind. Bitte, lass es doch dabei, ja?«
Was ein Nachrichtendienst ist, wusste Gertrud nicht, aber die Bezeichnung klang doch eigentlich ganz vertrauenerweckend. Und wenn die Polizei ihnen nicht auf den Fersen war, fand Gertrud, dass die Gruppe durchaus ein Weilchen bleiben konnte, oder auch zwei, wenn sie ihr ab und zu mal wieder eine Hähnchenpfanne machten. Oder Kaninchen aus dem Ofen.
Nombeko versprach Gertrud, sowohl Hähnchen als auch Kaninchen zuzubereiten, mindestens einmal pro Woche, wenn sie nur dem Rausschmiss entgingen. Holger 2, der im Gegensatz zu Nummer eins kein Sprechverbot hatte, hielt es für angebracht, das Gespräch von Bomben und Israelis wegzulenken, bevor die alte Dame es sich anders überlegen konnte.
»Was hat die Dame des Hauses für eine Geschichte, wenn ich fragen darf?«, erkundigte er sich.
»Ich?«, sagte Gertrud. »Ach, du liebe Zeit …«
* * * *
Gertrud begann damit, dass sie tatsächlich eine Gräfin war, Enkelin des finnischen Freiherrn, Marschalls und Nationalhelden Carl Gustaf Emil Mannerheim.
»Pfui!«, rief Holger 1.
»Deine Hauptaufgabe heute Abend wird es wie gesagt sein, die Klappe zu halten«, sagte sein Bruder. »Bitte, Gertrud, fahren Sie fort.«
Nun, Gustaf Mannerheim zog früh nach Russland, wo er dem russischen Zaren ewige Treue schwor. Dieses Versprechen hielt er im Wesentlichen auch, bis es irrelevant wurde, weil nämlich die Bolschewiken im Juli 1918 den Zaren mitsamt seiner ganzen Familie umbrachten.
»Gut so«, sagte Holger 1.
»Klappe, hab ich gesagt!«, sagte sein Bruder.
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