Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Norrtälje zum Beispiel bei Weitem noch nicht ausgelesen. Die beiden Wirrköpfe und die alte Dame im Auge zu behalten, war allein schon ein Halbtagsjob. Und zu guter Letzt forderte natürlich auch der Kartoffelacker noch sein Recht.
»Also Volkswirtschaft oder Staatswissenschaften«, sagte Holger 2.
»Oder beides«, meinte Nombeko, »wenn du schon mal dabei bist. Ich helf dir gerne. Mit Zahlen kann ich ja ganz gut.«
* * * *
Nummer zwei legte im nächsten Frühjahr endlich die Aufnahmeprüfung für die Hochschule ab. Die Kombination aus Grips und Enthusiasmus bescherte ihm eine hohe Punktzahl, und im Herbst war er bereits an den Instituten für Volkswirtschaft beziehungsweise Staatswissenschaften eingeschrieben. Manchmal überschnitten sich die Vorlesungen, aber dann schlich sich Nombeko in den Hörsaal und nahm Holgers volkswirtschaftlichen Platz ein, um ihm dann am selben Abend die verpasste Vorlesung fast wortwörtlich wiederzugeben. Mit dem einen oder anderen Kommentar dazu, was Professor Bergman oder Dozent Järegård hier falsch verstanden hatten.
Holger 1 und Celestine halfen mit den Kartoffeln und fuhren regelmäßig nach Stockholm zu den Treffen der Anarchistischen Vereinigung Stockholm. Letzteres hatten Nummer zwei und Nombeko genehmigt, solange die beiden versprachen, nicht in öffentlichen Zusammenhängen aufzutreten. Außerdem war die Anarchistische Vereinigung anarchistisch genug, um überhaupt kein Mitgliedsregister zu führen. Nummer eins und Celestine konnten also so anonym bleiben, wie es die Umstände erforderten.
Die beiden genossen den Umgang mit Gleichgesinnten – die Stockholmer Anarchisten waren nämlich auch mit absolut allem unzufrieden.
Der Kapitalismus sollte gestürzt werden, und die meisten anderen Ismen gleich mit. Der Sozialismus. Und der Marxismus, so man denn noch welchen auftreiben konnte. Der Faschismus und der Darwinismus natürlich (beides galt mehr oder weniger als dasselbe). Der Kubismus hingegen durfte bleiben, vorausgesetzt, dass er nicht durch irgendwelche Regeln eingeengt wurde.
Außerdem sollte natürlich der König abgeschafft werden. Einige Mitglieder schlugen als Alternative vor, dass jeder König werden durfte, der Lust hatte, aber da protestierte nicht zuletzt Holger. Ein König war doch wohl schon schlimm genug, oder?
Und siehe da – als Holger sprach, hörte die ganze Versammlung zu. Genauso, wie sie Celestine lauschten, als sie erzählte, dass sie ihr ganzes Erwachsenenleben lang der selbst erfundenen »Nieder mit dem ganzen Scheiß«-Partei treu geblieben war.
Holger und Celestine fühlten sich endlich zu Hause.
* * * *
Nombeko fand, wenn sie schon Kartoffelbäuerin sein sollte, dann konnte sie es auch gleich so richtig anpacken. Gertrud und sie verstanden sich prächtig. Obwohl die alte Dame ob der Namenswahl nur schnauben konnte, hatte sie im Grunde nichts dagegen, dass Nombeko in ihrem Namen die Gräfin Virtanen AG gründete.
Gemeinsam begannen sie Grundstücke rund um die eigenen Kartoffeläcker zu kaufen, um den Umsatz zu steigern. Gertrud wusste genau, welcher ehemalige Bauer hier der älteste und müdeste war. Sie fuhr mit einem Apfelkuchen und einer Thermoskanne Kaffee bei ihm vorbei, und noch bevor die zweite Tasse eingeschenkt war, hatten Grund und Boden den Eigentümer gewechselt. Daraufhin beantragte Nombeko eine amtliche Schätzung des Wertes des erstandenen Grundstücks, malte ein erfundenes Haus dazu und fügte der Zahl auf dem amtlichen Dokument noch zwei Nullen hinzu.
So konnte sich die Gräfin Virtanen AG fast zehn Millionen auf einen Acker leihen, der auf hundertdreißigtausend geschätzt worden war. Von dem Darlehen kauften Nombeko und Gertrud noch mehr Land, mithilfe von noch mehr Apfelkuchen und Thermoskannen mit Kaffee. Nach zwei Jahren war Gertrud nach Grundbesitz bemessen die mit Abstand größte Kartoffelproduzentin der Region, auch wenn ihre Schulden den tatsächlichen Umsatz mindestens ums Fünffache überstiegen.
Nun musste nur noch die Ernte richtig in Gang kommen. Dank Nombekos Kreditmodell hatte das Unternehmen keine Cashprobleme, doch der Maschinenpark war sowohl veraltet als auch zu klein.
Um dem abzuhelfen, setzte sie Gertrud hinters Steuer und ließ sich von ihr nach Västerås zur Pontus Widén Maschinen AG fahren. Das Gespräch mit dem Verkäufer überließ sie der alten Dame.
»Guten Tag auch, junger Mann, ich bin Gertrud Virtanen aus Norrtälje und baue Kartoffeln an, die beackert, geerntet und so gut wie
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