Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
So gut gleich, dass von dem Fasan nur ein paar verstreute Federn übrig blieben.
Die Erde drehte sich schön weiter um ihre Sonne, im selben gleichbleibenden Rhythmus und mit denselben Stimmungsschwankungen wie seit Anbeginn aller Tage. Nombeko las von großen und kleinen Ereignissen. Und verspürte eine gewisse intellektuelle Stimulation, wenn sie jeden Abend beim Essen die Nachrichten zusammenfasste. In diesen Jahren geschah es auch, dass Boris Jelzin in Russland seinen Rücktritt verkündete. In Schweden war er am berühmtesten für seinen Staatsbesuch, bei dem er derart einen im Tee hatte, dass er verlangte, das Land müsse endlich seine Kohlekraftwerke schließen, obwohl es weit und breit kein einziges Kohlekraftwerk gab.
Spannend war auch, wie das am höchsten entwickelte Land der Welt sich bei der Wahl des eigenen Präsidenten so anstellte, dass es mehrere Wochen dauerte, bis das Höchste Gericht feststellte, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen verloren hatte. Und so wurde George W. Bush Präsident der USA , während Al Gore auf den hysterischen Umweltagitator reduziert wurde, dem nicht mal die Anarchisten in Stockholm allzu viel Gehör schenkten. Im Übrigen befahl Bush kurz darauf die Invasion des Irak, um sämtliche Waffen zu vernichten, die Saddam Hussein nicht hatte.
Zu den marginalen Nachrichten gehörte, dass ein ehemaliger Bodybuilder aus Österreich Gouverneur von Kalifornien wurde. Als Nombeko in der Zeitung das Foto sah, auf dem er mit Frau und vier Kindern abgebildet war und mit weißen Zähnen in die Kamera strahlte, versetzte es ihr einen Stich. Sie fand, dass die Welt ganz schön ungerecht war – die einen bekamen alles im Überfluss, die anderen gar nichts. Allerdings wusste sie damals noch nicht, dass der betreffende Gouverneur es geschafft hatte, mit seiner Haushälterin noch ein fünftes Kind zu machen.
Insgesamt war es jedoch eine hoffnungsvolle und recht glückliche Zeit auf Sjölida, während sich die Welt ansonsten aufführte, wie sie es schon immer getan hatte.
Und die Bombe an ihrem angestammten Platz stand.
* * * *
Im Frühjahr 2004 sah das Dasein wahrscheinlich lichter aus denn je zuvor. Holger war fast fertig mit seinem Staatswissenschaftsstudium, während er in Volkswirtschaft kurz vor Erlangung der Doktorwürde stand. Was eher als Eigentherapie im Kopf von Nummer zwei entstanden war, hatte sich bald zu einer richtigen Abhandlung ausgewachsen. Er ertrug den Gedanken nur schwer, dass er mit der Bombe Tag für Tag riskierte, sich mitschuldig am Verderben eines halben Landstrichs und einer ganzen Nation zu machen. Um das aushalten zu können, hatte er eine alternative Seite der Angelegenheit betrachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass Schweden und die Welt sich aus rein ökonomischer Perspektive wieder aus der Asche erheben würden. Daher der Titel seiner Dissertation: Die Atombombe als Wachstumsfaktor. Dynamische Vorteile einer nuklearen Katastrophe .
Die Nachteile, die auf der Hand lagen, hatten Holger 2 nächtelang wach gehalten, aber die waren schon mehrfach bis ins Letzte analysiert worden. Allein Indien und Pakistan konnten nach Ansicht der Wissenschaftler zwanzig Millionen Menschen töten, wenn es zwischen ihnen zu einem Atomkrieg kam. Dabei hatten sie zusammengenommen nicht so viele Megatonnen Sprengkraft wie das, was Nummer zwei und Nombeko auf Lager hatten. Computersimulationen zeigten: Binnen weniger Wochen würde so viel Rauch in die Stratosphäre steigen, dass es zehn Jahre dauern würde, bis die Sonne wieder ganz durchkam. Nicht nur über den beiden zerstrittenen Ländern, sondern über der ganzen Welt.
Aber hier – so Holger 2 – würde die Dynamik der Marktkräfte ihre Triumphe feiern. Dank der um zweihundert Prozent erhöhten Schilddrüsenkrebsrate würde die Arbeitslosenquote sinken. Enorme Völkerwanderungen aus den sonnigen Ferienparadiesen (die jetzt ja keine Sonne mehr zu bieten hatten) in die Großstädte der Welt würden eine breitere Streuung bei den Löhnen nach sich ziehen. Eine ganze Reihe gesättigter Märkte wäre auf einen Schlag wieder ungesättigt, was wiederum für eine neue Dynamik sorgen würde. So war zum Beispiel sonnenklar, dass das chinesische Monopol auf Solarzellen zusammenbrechen würde.
Indien und Pakistan konnten mit vereinten Kräften auch den galoppierenden Treibhauseffekt stoppen. Die Abholzung der Wälder und der Einsatz fossiler Brennstoffe konnten einfach weitergehen, weil mit der damit verbundenen Erwärmung
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