Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
gründeten?
»Eine Zeitschrift? Prima! Was soll denn da drinstehen?«
* * * *
Holger Qvists Ruf war zerstört, nachdem man ihn aus der Universität Stockholm mehr oder weniger hinausgeschmissen hatte. Nichtsdestoweniger verfügte er über umfassende Kenntnisse der Wirtschaft und der Staatswissenschaften, und sich selbst schätzte Nombeko auch nicht gerade als Dummkopf ein. Sie konnten also beide hinter den Kulissen arbeiten.
Nachdem sie ihrer Nummer zwei ihre Argumente unterbreitet hatte, erklärte er sich bereit mitzumachen. Aber an was für Kulissen hatte Nombeko da gedacht? Und was für ein Ziel verfolgten sie überhaupt?
»Unser Ziel, mein lieber Holger, besteht darin, die Bombe loszuwerden.«
Die erste Ausgabe der Zeitschrift Schwedische Politik erschien im April 2007. Das aufwendige Monatsmagazin wurde kostenlos an fünfzehntausend einflussreiche Personen im ganzen Land verschickt. Vierundsechzig vollgeschriebene Seiten, ohne eine einzige Anzeige. Ein Geschäft, das sich freilich nicht richtig rechnen wollte, aber das war ja auch nicht Sinn der Sache.
Sowohl Svenska Dagbladet als auch Dagens Nyheter berichteten über das Projekt. Das Magazin wurde offenbar von einer exzentrischen ehemaligen Kartoffelbäuerin geleitet, der achtzigjährigen Gertrud Virtanen. Frau Virtanen war nicht bereit, Interviews zu geben, aber in ihrer eigenen Kolumne auf Seite zwei erklärte sie, warum die Zeitschrift das Prinzip verfolgte, sämtliche Artikel und Analysen anonym zu veröffentlichen. Jeder Text sollte nach seinem Inhalt beurteilt werden, nach keinem anderen Kriterium.
Abgesehen von Frau Virtanen war das Interessanteste an diesem Magazin die Tatsache, dass es … so interessant war. Die erste Ausgabe wurde in einer Reihe schwedischer Zeitungen in den höchsten Tönen gelobt. Zwischen den Hauptartikeln fand sich auch eine genaue Analyse der Sverigedemokrater, die bei der Wahl 2006 ihren bisherigen Stimmenanteil von anderthalb Prozent verdoppeln konnten. Die Analyse war aus einer internationalen Perspektive und zudem äußerst kenntnisreich geschrieben, mit Verweisen auf nazistische historische Strömungen in Afrika. Das Fazit war vielleicht ein wenig dramatisch ausgefallen: Es war schwer zu glauben, dass sich eine Partei, die ihren Parteivorsitzenden mit dem Hitlergruß grüßte, nach außen hin so auf Hochglanz polieren konnte, dass sie es bis in den Reichstag schaffte, aber nun ja.
Ein anderer Artikel beschrieb bis ins Detail die menschlichen, politischen und finanziellen Konsequenzen eines schwedischen Atomunfalls. Nicht zuletzt die zahlenbasierten Aspekte ließen jeden Leser schaudern. Wenn man Oskarshamn wieder aufbaute, achtundfünfzig Kilometer von seinem vorherigen Standort entfernt, würden damit für die nächsten fünfundzwanzig Jahre zweiunddreißigtausend Arbeitsplätze geschaffen.
Abgesehen von den Artikeln, die sich fast von selbst schrieben, schrieben Nombeko und Nummer zwei auch ein paar Dinge, die dem neuen konservativen Ministerpräsidenten gute Laune machen mussten. Wie zum Beispiel einen historischen Rückblick auf die europäische Union, anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Unterzeichnung der Römischen Verträge, bei denen eben dieser Ministerpräsident zufällig dabei gewesen war. Oder eine scharfsinnige Analyse der Sozialdemokratie in der Krise. Die Partei hatte gerade das schlechteste Wahlergebnis seit 1914 eingefahren und mit Mona Sahlin nun eine neue Parteivorsitzende gekürt. Das Fazit lautete, dass Sahlin sich entweder mit den Grünen zusammentun und sich von der Linken distanzieren konnte – und so die nächste Wahl verlor. Oder sie konnte die ehemaligen Kommunisten ins Boot holen und eine Dreiparteien-Koalition bilden – und genauso verlieren (sie versuchte beides und … verlor nicht nur die Wahl, sondern auch ihren Posten).
Die Räumlichkeiten der Zeitschrift befanden sich in Kista bei Stockholm. Auf Wunsch von Nummer eins war sowohl Holger 1 als auch Celestine jede redaktionelle Beteiligung verboten. Außerdem hatte Nummer zwei einen Kreidekreis mit einem Radius von zwei Metern um seinen Schreibtisch auf den Boden gemalt und Nummer eins befohlen, diese Linie niemals zu überschreiten, außer wenn er den Papierkorb ausleeren wollte.
Eigentlich hätte er seinen Bruder überhaupt nicht in die Redaktion lassen wollen, aber erstens weigerte sich Gertrud, sich mit dem Projekt zu befassen, wenn ihre geliebte Celestine nicht mitmachen durfte, und zweitens mussten die beiden
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