Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Unglücksraben abgelenkt werden, nachdem es nun keine Kartoffeln mehr zu klauben gab.
Gertrud, die offizielle Geldgeberin, hatte ein eigenes Büro in der Redaktion, in dem sie saß und sich über ihr Türschild mit der Aufschrift »Verantwortliche Herausgeberin« freute. Das war so ungefähr alles, was sie machte.
Nach der ersten Ausgabe hatten Nombeko und Nummer zwei ein zweites Heft für 2007 ins Auge gefasst, sowie ein drittes, das direkt nach den Ferien erscheinen sollte. Danach – so dachten sie – wäre der Ministerpräsident bestimmt für eine Anfrage empfänglich. Die Zeitschrift Svensk Politik würde ihn um ein Interview bitten, und er würde Ja sagen. Früher oder später jedenfalls, wenn sie nur weiterhin alles richtig machten.
Doch dieses eine Mal entwickelten sich die Dinge nicht schlechter, sondern besser, als Holger und Nombeko gedacht hatten. Der Ministerpräsident wurde nämlich bei einer Pressekonferenz, die sich eigentlich um seinen bevorstehenden Besuch in Washington und im Weißen Haus drehte, auf das neue Magazin Svensk Politik angesprochen. Und er antwortete, er habe die neue Zeitschrift mit Interesse gelesen, stimme in den wesentlichen Punkten mit der Europa-Analyse überein und freue sich schon aufs nächste Heft.
Besser ging’s nicht. Nachdem sie das gehört hatte, schlug Nombeko vor, dass Holger 2 sofort Kontakt mit der Regierungskanzlei aufnahm. Warum warten? Was hatten sie zu verlieren?
Nummer zwei meinte, sein Bruder und dessen Freundin schienen ein überirdisches Talent dafür zu haben, alles zu zerstören, und er wolle lieber nicht zu viel hoffen, solange diese beiden nicht irgendwo sicher weggesperrt waren. Aber seinetwegen. Was hatten sie zu verlieren?
Holger 2 rief also zum soundsovielten Mal die derzeitige Assistentin des Ministerpräsidenten an, nun aber mit einem anderen Anliegen, und – Donnerkeil! – die Assistentin antwortete, sie werde sich mit dem Pressechef darüber abstimmen. Der rief tags darauf zurück und erklärte, der Ministerpräsident stehe am 27. Mai um zehn null null für ein fünfundvierzig Minuten langes Interview zur Verfügung.
Dieser Bescheid bedeutete, dass das Gespräch schon fünf Tage nach Erscheinen des zweiten Heftes stattfinden würde. Also brauchte man keine weiteren Ausgaben.
»Oder willst du weitermachen?«, fragte Nombeko. »Ich hab dich noch nie so glücklich gesehen.«
Nein, die erste Ausgabe hatte vier Millionen gekostet, und die zweite würde nicht billiger werden. Das Geld vom Kartoffelhof brauchten sie für das Leben, das sie sich jetzt aufbauen wollten, wenn alles gut lief. Ein Leben, in dem sie beide existierten, mit Aufenthaltsgenehmigung und allem Pipapo.
Holger und Nombeko wussten, dass es immer noch schwer genug werden würde, auch wenn es ihnen nun endlich gelang, die Existenz der Bombe dem Mann mitzuteilen, der das Land regierte, in dem sie sich befanden. So stand ja zum Beispiel kaum zu hoffen, dass der Ministerpräsident sich darüber freuen würde. Und es war auch nicht sicher, ob er Verständnis für die Situation aufbringen würde. Oder Holgers und Nombekos zwanzigjährige Diskretion zu schätzen wüsste.
Doch so bestand immerhin die Chance. Wenn sie nichts taten, nicht.
Die zweite Ausgabe war internationaler ausgerichtet. Unter anderem enthielt sie eine Analyse der aktuellen politischen Lage in den USA anlässlich des anstehenden Treffens des Ministerpräsidenten mit George W. Bush. Und einen historischen Rückblick auf den Völkermord in Ruanda, bei dem eine Million Tutsi abgeschlachtet wurden, weil sie dummerweise keine Hutu waren. Der Unterschied zwischen den beiden Volksgruppen bestand angeblich darin, dass die Tutsi im Allgemeinen vielleicht ein bisschen größer waren als die Hutu.
Des Weiteren einen Flirt mit dem Ministerpräsidenten betreffend die bevorstehende Aufhebung des Apothekenmonopols.
Holger 2 und Nombeko gingen jeden Buchstaben gemeinsam durch. Hier durfte jetzt nichts schiefgehen. Die Zeitschrift sollte immer noch Substanz haben, immer noch interessant sein – aber ohne dem Ministerpräsidenten auf den Schlips zu treten.
Nichts durfte schiefgehen. Wie konnte Nummer zwei also auf die Idee verfallen, mit seiner lieben Nombeko ins Restaurant zu gehen, um die Fertigstellung der zweiten Ausgabe zu feiern? Hinterher verfluchte er sich selbst so ausgiebig, dass er ganz vergaß, seinen Bruder zu erschlagen.
Gertrud war nämlich immer noch in der Redaktion und schlief auf ihrem Chefsessel,
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