Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
der militärischen Ordnung in seinem Wohnheimzimmer widmete. Nach kurzer Zeit war er fertiger Betriebswirtschaftler.
Sein Interesse an Politik hatte er auch von zu Hause mitbekommen. Schon Papa war Kommunalpolitiker. Fredrik trat in seine Fußstapfen. Kam in den Reichstag. Wurde Präsident der jungen Moderaten.
Seine Partei trug in der Reichstagswahl 1991 den Sieg davon. Der junge Fredrik spielte immer noch keine zentrale Rolle, und er hatte sich auch keinen Gefallen getan, als er Parteiführer Bildt als Diktator bezeichnete. Bildt untermauerte Reinfeldts Feststellung rein sachlich, indem er ihn die nächsten zehn Jahre parteiintern kaltstellte, während Bildt selbst ins ehemalige Jugoslawien fuhr, um bei den Friedensverhandlungen zu vermitteln. Es gefiel ihm eben besser, die Welt zu retten, als bei der Rettung Schwedens zu scheitern.
Sein Nachfolger Bo Lundgren konnte fast genauso gut rechnen wie Nombeko, aber da das schwedische Volk keine Zahlen hören will, sondern hie und da auch noch mal ein hoffnungsvolles Wort, scheiterte er ebenfalls.
Und dann wurde es Zeit für eine Neuerung in der moderaten Partei. Man holte den fröstelnden Fredrik Reinfeldt aus seinem Kühlschrank, taute ihn auf und wählte ihn am 25. Oktober 2003 einstimmig zum Parteivorsitzenden. Keine drei Jahre später bescherten er, seine Partei und seine bürgerliche Allianz der Sozialdemokratie eine Niederlage, die sich gewaschen hatte. Fredrik Reinfeldt wurde Ministerpräsident und entfernte eigenhändig alle Spuren, die sein Vorgänger Persson in der Regierungskanzlei hinterlassen hatte. Dabei benutzte er vor allem grüne Seife, denn die hinterlässt auf der behandelten Oberfläche eine schmutzabweisende Schicht. Als er fertig war, wusch er sich die Hände und läutete eine neue Ära in der schwedischen Politik ein.
Reinfeldt war stolz auf seine Errungenschaften. Und zufrieden. Eine Zeit lang.
* * * *
Nombeko, Celestine, Nummer eins, Nummer zwei und Gertrud waren wieder auf Sjölida. Wenn die Stimmung in der Gruppe vor dem Abenteuer mit der Svensk Politik angespannt gewesen war, so war sie nun als geradezu ungesund zu bezeichnen. Holger 2 weigerte sich, mit seinem Bruder zu sprechen oder auch nur mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Nummer eins wiederum fühlte sich missverstanden und übergangen. Celestine und er hatten sich aufgrund des Hinweises auf die Vereinigung im Leitartikel außerdem mit den Anarchisten überworfen. Die meisten Politikjournalisten des Landes hatten der Aufforderung nämlich tatsächlich Folge geleistet und waren in den Versammlungsraum der Anarchisten geströmt, um sich die Argumente für einen Vergleich des Königshauses mit einem Schweinestall darlegen zu lassen.
Holger 1 indessen saß tagelang auf dem Heuboden und starrte auf Gertruds Kartoffellaster hinunter. In dem immer noch eine Atombombe mit einer Sprengkraft von drei Megatonnen lag. Die dafür sorgen würde, dass der König abdanken würde, so oder so. Allerdings hatte er ja versprochen, sie nicht anzufassen.
Nun hatte er sein Versprechen all die Jahre gehalten, und sein Bruder war trotzdem tierisch wütend auf ihn. Das war so ungerecht!
Celestine hingegen war wütend auf Nummer zwei, weil er wütend auf Nummer eins war. Sie sagte, Nummer zwei sei entgangen, dass man Zivilcourage nicht an der Uni studieren konnte, die hatte man, oder man hatte sie nicht. Und der Bruder von Nummer zwei, der hatte sie!
Holger 2 bat Celestine, doch bitte irgendwoanders hinzustolpern und sich dabei so oft wie möglich anzustoßen. Er für seinen Teil würde jetzt spazieren gehen.
Er ging an den See hinunter, setzte sich auf die Bank am Bootssteg und blickte aufs Wasser. Ihn erfüllte ein Gefühl der … nein, ihn erfüllte überhaupt nichts mehr. Er war vollkommen leer.
Er hatte Nombeko, und dafür war er auch dankbar. Aber ansonsten – keine Kinder, kein Leben, keine Zukunft. Und er war sicher, dass er den Ministerpräsidenten nicht treffen würde, weder den jetzigen, noch den nächsten, noch irgendeinen von denen, die danach kommen sollten. Von den sechsundzwanzigtausendzweihundert Jahren, die es dauerte, bis die Bombe ihre Sprengkraft verlor, blieben immer noch fünfundzwanzigtausendeinhundertachtzig. Plus minus drei Monate. Da konnte er doch gleich hier auf seiner Bank bleiben und die Zeit absitzen.
Kurzum, die Dinge standen so fürchterlich, wie sie nur stehen konnten. Dreißig Minuten bevor alles noch schlimmer wurde.
19. KAPITEL
Von einem Galadiner im Schloss
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