Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
nennen durfte, etwas Wichtiges steckte. Doch da ebendieser Idiot wahrscheinlich noch nicht mal auf der Welt gewesen war, als des Königs Urgroßvater 1950 starb, konnten sie kaum etwas miteinander zu tun gehabt haben. Es musste also weiter zurückreichen. Um ehrlich zu sein, hatte der König nicht so genau hingehört, als Fräulein Nombeko ihren Vortrag hielt, dafür war er viel zu sehr mit der Gräfin beschäftigt gewesen. Aber der zweite Holger hatte im Kartoffellaster ja die Bemerkung gemacht, dass der Vater der Zwillingsbrüder die republikanische Idee erst in die Familie gebracht hatte.
Ziemlich erfolgreich, wie es aussah.
Hatte der Vater der Zwillingsbrüder vielleicht irgendwie unter Gustaf V . zu leiden gehabt?
Hmm.
Da kam dem König ein verbotener Gedanke.
Der Gedanke der Liebesheirat war noch nicht bis in die königlichen Kreise vorgedrungen, als sich Urgroßvater und Urgroßmutter im September 1881 das Jawort gaben. Trotzdem war Urgroßvater ziemlich traurig gewesen, als seine Königin nach Ägypten fuhr, um sich in wärmerem Klima auszukurieren, und sich dort in einem Beduinenzelt in ein delikates Abenteuer mit einem einfachen Baron stürzte. Einem Dänen noch dazu.
Von dem Tag an soll der König sich nicht mehr für Frauen interessiert haben. Wie es hingegen mit Männern aussah, ist nicht ganz klar. Im Laufe der Jahre gab es das eine oder andere Gerücht. Nicht zuletzt diese Erpressergeschichte, als ein Scharlatan dem König Geld abnahm, in einer Zeit, als Homosexualität noch gesetzeswidrig war und die Monarchie gefährden konnte. Der Hof tat alles, um den Scharlatan bei Laune zu halten und – vor allem – sein Schweigen zu erkaufen.
Man gab ihm Geld und noch ein bisschen Geld, und dann noch ein bisschen mehr. Er wurde unterstützt, als er ein Restaurant und eine Pension betrieb. Aber ein Scharlatan kann schlecht aus seiner Haut, und das Geld rann ihm durch die Finger, und er kam immer wieder und verlangte noch mehr.
Eines Tages stopfte man ihm sämtliche Taschen mit Geld voll und verschiffte ihn nach Amerika, aber es ist ungeklärt, ob er jemals dort ankam, bevor er wieder mit neuen Forderungen vor der Tür stand. Ein andermal – mitten im tobenden Weltkrieg – wurde er nach Nazideutschland geschickt, mit dem Versprechen in der Tasche, lebenslang eine Leibrente aus Schweden zu bekommen. Aber der Mann fing an, kleine Jungs zu begrapschen, und verhielt sich auch ansonsten genau so, wie es Hitlers arischem Männerideal zuwiderlief, und so wurde er postwendend nach Schweden zurückgeschickt, nachdem er die Gestapo so weit gereizt hatte, dass er um ein Haar im KZ gelandet wäre (was für den schwedischen Hof zweifellos seine Vorteile gehabt hätte).
Als er wieder in Stockholm war, schrieb der Scharlatan ein Buch über sein Leben. Jetzt würde es die ganze Welt erfahren! Nein, die wird es ganz sicher nicht erfahren, dachte sich da der Polizeichef in Stockholm, kaufte die gesamte Auflage auf und sperrte sie in eine Zelle im Polizeirevier.
Am Ende war es nicht mehr möglich, diese ungute Geschichte zu vertuschen (in Brunei wäre das sicher anders gewesen). Da wurde die Gesellschaft tätig und verurteilte den Scharlatan zu acht Jahren Gefängnis für diverse Vergehen. Zu diesem Zeitpunkt war Gustaf V . bereits verstorben, und der Scharlatan sorgte eigenhändig dafür, dass er es ihm gleichtat, nachdem man ihn wieder freigelassen hatte.
Eine traurige Geschichte. Aber es wäre ja nicht unmöglich, dass der Scharlatan mehr war als nur ein Scharlatan. Zumindest was die Schilderung seines Verhältnisses zu Gustaf V . betraf. Und es war nicht auszuschließen, dass der König ihn und andere Jungen und Männer auf diese – damals – illegale Art in seiner Nähe gehabt hatte.
Und wenn nun …
Und wenn nun der Vater der beiden Holger von ihm missbraucht worden war? Wenn er aus diesem Grunde seinen Kreuzzug gegen die Monarchie im Allgemeinen und Gustaf V . im Besonderen begonnen hatte?
Und wenn nun …
Denn irgendetwas musste ja dahinterstecken.
* * * *
Der König hatte fertig überlegt. Auch wenn er nicht in allen Teilen richtig gedacht hätte, waren seine Überlegungen doch klug.
»Was ich von Gustaf V . halte, dem Vater meines Großvaters?«, wiederholte der König.
»Ja, jetzt gib mir doch endlich eine Antwort!«, rief Holger 1.
»Ganz unter uns?«, sagte der König (während die Gräfin Virtanen, Celestine, Holger 2, Nombeko, der Ministerpräsident und ein mittlerweile schlafender
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