Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
wenn ihnen die richtigen Worte einfielen?
Der König riss sich ungern von seiner Gräfin los, aber natürlich konnte er sich ein nächtliches Gespräch mit Fräulein Celestine und dem Mann, den er nicht »den Idioten« nennen durfte, vorstellen – wenn sie es denn wünschten und sich die Dinge damit in die richtige Richtung lenken ließen.
Holger 1 begann das Gespräch auf dem Bootssteg damit, dass er dem König erklärte, er solle sich schämen, sich nicht wie ein König benommen zu haben.
»Wir alle haben unsere Fehler«, sagte der König.
Nummer eins fuhr fort, er müsse zugeben, dass seine Freundin, Celestine, sich durchaus über die … lebhafte Beziehung freute, die der König zu Gertrud aufgebaut hatte.
»Zur Gräfin«, korrigierte der König.
Nun, wie auch immer sie in den verschiedenen Lagern genannt wurde, sie war einer der Gründe, warum es nicht mehr selbstverständlich war, König und Teile des Vaterlandes in die Luft zu sprengen, auch wenn der König sich weigern sollte abzudanken.
»Sehr gut«, sagte der König. »Dann entscheide ich mich dagegen.«
»Gegen den Thron?«
»Nein, gegen die Abdankung. Nachdem das ja nicht mehr die dramatischen Konsequenzen hat, die Sie zuvor formuliert hatten.«
Holger 1 verfluchte sich im Stillen. Er hatte es völlig verkehrt angepackt und gleich zu Anfang die einzige Trumpfkarte abgeworfen, die er in der Hand hatte – die Drohung mit der Bombe. Dass ihm auch immer alles in die Hose gehen musste, was er anfing! Ihm wurde immer klarer, dass er seinem Spitznamen tatsächlich alle Ehre machte.
Der König sah, wie es im Inneren von Holger 1 aussehen musste, und fügte hinzu, der Herr Idiot solle nicht allzu traurig über die Entwicklung der Dinge sein. Die Geschichte zeige nämlich, dass es nicht reiche, einen König vom Thron zu jagen. Es reiche nicht mal aus, wenn ein ganzes Königsgeschlecht ausstürbe.
»Nein?«, fragte Holger 1.
* * * *
Während es in Roslagen hell wurde, raffte sich der König auf, die lehrreiche Geschichte von Gustav IV . Adolf zu erzählen, dem es nicht sonderlich gut ergangen war.
Es begann damit, dass Gustav Adolfs Vater in der Oper erschossen wurde. Sein Sohn hatte zwei Wochen Zeit, sich an seine neue Rolle zu gewöhnen, während sein Vater im Sterben lag. Wie sich herausstellte, war diese Zeitspanne viel zu kurz. Außerdem hatte der Vater seinem Sohn eingetrichtert, dass der schwedische König seine Stellung durch Gottes Gnaden bekommen hatte, dass der König und Gott also quasi Hand in Hand arbeiteten.
Wer das Gefühl hat, den Herrn an seiner Seite zu haben, der zieht natürlich schnell mal in den Krieg und besiegt Kaiser Napoleon und Zar Alexander – gleichzeitig. Leider nahmen auch der Kaiser und der Zar diesen göttlichen Schutz für sich in Anspruch und verhielten sich entsprechend. Für den Fall, dass alle drei recht hatten, hatte Gott wohl zu vielen Leuten zu viel versprochen. Da blieb dem Herrn nichts anderes übrig, als die tatsächlichen Kräfteverhältnisse entscheiden zu lassen.
Vielleicht bezog Schweden deswegen doppelt und dreifach Dresche, musste zusehen, wie Napoleon Pommern besetzte, und wurde Finnland komplett los. Gustav selbst wurde von erbosten Grafen und verbitterten Generälen vom Thron verjagt. Ein Staatsstreich.
»Schau mal einer an«, sagte Holger.
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte der König.
Der ehemalige Gustav IV . Adolf bekam Depressionen und griff zur Flasche – was blieb ihm schon anderes übrig? Als er den Titel nicht mehr tragen durfte, den er nicht mehr hatte, begann er sich stattdessen Oberst Gustavsson zu nennen. Und so irrte er durch Europa und beschloss seine Tage einsam, alkoholisiert und verarmt in einer Schweizer Pension.
»Ist doch prima«, sagte Holger 1.
»Wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen würden, hätten Sie schon gemerkt, dass ich auf etwas ganz anderes hinauswill«, sagte der König. »So wurde zum Beispiel gleich wieder ein anderer König auf den Thron gesetzt.«
»Ich weiß«, sagte Holger 1. »Deswegen muss man ja auch das ganze Geschlecht auslöschen.«
»Aber das hilft doch auch nichts«, sagte der König und fuhr fort.
Wie der Vater, so der Sohn, heißt es, und das Risiko wollten die Umstürzler nicht eingehen. Also erklärte man, dass die Verbannung des unfähigen Gustav IV . Adolf nicht nur den König selbst betraf, sondern sich auf seine gesamte Familie erstreckte, inklusive den damals zehnjährigen Kronprinzen. Man erklärte ihnen, dass sie des
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