Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
man könne nicht der reformierten Kirche die Schuld geben, wenn sich die Schwarzen vermehrten wie die Karnickel.
»Respekt«, wiederholte er. »Denken Sie daran, Herr Ingenieur.«
Engelbrecht van der Westhuizen nahm sich den Tadel seines Bischofs zu Herzen, aber Nombekos Namen konnte man sich einfach unmöglich merken. Deswegen nannte er sie jetzt »Wieheißtdunochgleich«, wenn er sie direkt anredete, und ansonsten … gab es eigentlich gar keinen Grund, auf ihre Person Bezug zu nehmen.
Premierminister Vorster hatte ihm schon zwei Besuche abgestattet und dabei die ganze Zeit freundlich gelächelt. Die unterschwellige Botschaft war jedoch unmissverständlich: Wenn Ingenieur van der Westhuizen nicht demnächst sechs Atombomben vorweisen konnte, war es gut möglich, dass er demnächst auch keine Stellung mehr vorweisen konnte.
Vor dem ersten Treffen mit dem Premierminister hatte der Ingenieur Wiehießsienochgleich eigentlich in die Putzkammer sperren wollen. Es war zwar zulässig, schwarze und farbige Hilfen auf dem Gelände zu beschäftigen, solange sie nie Ausgang hatten, aber der Ingenieur fand, das mache irgendwie einen schmutzigen Eindruck.
Doch wenn er sie in die Kammer sperrte, hatte das den Nachteil, dass sie nicht in seiner Nähe sein konnte, und ihm war schon bald klar geworden, dass es gar nicht so dumm war, wenn er sie in seiner Nähe hatte. Aus ihm unverständlichen Gründen ging in diesem Mädchenhirn so einiges vor. Wiehießsienochgleich war freilich viel zu naseweis, und sie verstieß gegen jede Regel, gegen die sich irgendwie verstoßen ließ. Mit das Frechste, was sie sich je herausgenommen hatte, war, dass sie sich ohne Genehmigung in der Bibliothek der Forschungsanlage herumgetrieben und sogar Bücher von dort mitgenommen hatte. Im ersten Moment wollte der Ingenieur schon jegliche Tätigkeit in der Anlage stoppen und die Sicherheitsabteilung einschalten, damit sie der Sache auf den Grund gingen. Denn was sollte eine Analphabetin aus Soweto schon mit Büchern anfangen?
Doch dann stellte er fest, dass sie tatsächlich in diesen Büchern las. Das machte die Sache noch bemerkenswerter – Lesekenntnisse waren ja nicht unbedingt ein hervorstechender Zug unter den Analphabeten der Nation. Dann sah der Ingenieur, was sie da las, und zwar so ziemlich alles , inklusive höhere Mathematik, Chemie, Elektrotechnik und Metallurgie (also genau die Bereiche, in die sich eigentlich der Ingenieur selbst hätte vertiefen sollen). Als er sie einmal auf frischer Tat ertappte, wie sie die Nase in ein Buch steckte, statt den Boden zu scheuern, sah er, wie das Mädchen lächelnd vor mathematischen Formeln saß.
Sie las, nickte und lächelte .
Wirklich eine Provokation. Der Ingenieur selbst hatte niemals Freude daran gehabt, Mathematik zu lernen. Oder irgendetwas anderes. Glücklicherweise bekam er trotzdem Spitzennoten an der Universität, deren größter Gönner sein Vater war.
Der Ingenieur wusste, dass man gar nicht alles können und wissen musste. Es war leicht, mit guten Noten, dem richtigen Vater und hemmungslosem Ausnutzen der Kompetenz anderer Leute ganz an die Spitze zu kommen. Doch um sich dort halten zu können, musste der Ingenieur in diesem Fall tatsächlich etwas vorweisen. Nun ja, nicht wirklich er selbst, aber die Forscher und Techniker, die er angestellt hatte und die sich nun Tag und Nacht in seinem Namen abrackerten.
Und das Team erzielte wirklich Fortschritte. Der Ingenieur war sicher, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft die wenigen technischen Probleme gelöst haben würden, die den Atomtests im Moment noch im Wege standen. Der Teamleiter der Forscher war kein Dummkopf. Auch wenn er ungemein lästig war, weil er dem Ingenieur ständig jeden noch so kleinen Fortschritt in ihrer Arbeit berichtete und sich dann eine Reaktion erwartete.
Und da kam Wiehießsienochgleich ins Bild. Indem er sie nicht daran hinderte, in den Bibliotheksbüchern zu blättern, hatte der Ingenieur ihr die Tür zur Mathematik weit aufgestoßen, und sie nahm alles in sich auf: algebraische, transzendente, imaginäre und komplexe Zahlen, die Eulersche Konstante, Differential- und diophantische Gleichungen und unendlich viele (∞) andere komplexe Bereiche, die für den Ingenieur mehr oder weniger böhmische Dörfer waren.
Man hätte Nombeko im Laufe der Zeit die rechte Hand des Chefs genannt, wenn sie nicht eine Sie gewesen wäre und vor allem nicht die falsche Hautfarbe gehabt hätte. Stattdessen blieb ihr der vage
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