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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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der Sicherheitschef nicht vor ein paar Jahren die Postarbeiterinnen eingewiesen hätte. Nachdem er den Chinesenmädchen bis ins kleinste Detail erklärt hatte, wie die Sicherheitsmaßnahmen aufgebaut waren, und hinzugefügt hatte, dass diese Maßnahmen notwendig waren, weil man keinem Menschen auf der Welt trauen konnte, entschuldigte er sich, weil er auf die Toilette musste. Woraufhin die Mädchen den Beweis antraten, dass er recht hatte. Sowie sie allein im Zimmer waren, trippelten sie nämlich hinter seinen Schreibtisch, spannten das richtige Papier in die Schreibmaschine und fügten der Liste der hundertvierzehn Personen, die geheime Dokumente bekommen durften, noch einen Empfänger hinzu.
    »Eure Mutter«, riet Nombeko.
    Die Mädchen nickten lächelnd. Sicherheitshalber hatten sie ihrer Mutter einen hübschen Titel vor den Namen gesetzt: Cheng Lian sah verdächtig aus. Professor Cheng Lian flößte Vertrauen ein. So einfach funktionierte die rassistische Logik.
    Nombeko dachte, dass jemand auf einen chinesischen Namen hätte reagieren müssen, Professorentitel hin oder her, aber es schien nun mal im Wesen der Mädchen zu liegen, Risiken einzugehen und ungeschoren davonzukommen. Abgesehen von dieser einen Panne, wegen der sie ebenso wie Nombeko hier eingesperrt waren. Und mit dem Namen ging es schon seit Jahren gut, also würde es wohl auch noch einen Tag länger damit klappen. Konnte Nombeko also tatsächlich einen Brief in einem Brief an Professor Cheng Lian schicken, den die Mutter der Mädchen weiterleitete?
    »Absolut«, sagten die Mädchen, ohne die geringste Neugier zu zeigen, wem Nombeko eine Botschaft schicken wollte.
    An:
    Präsident James Earl Carter Jr.
    Weißes Haus, Washington
    Guten Tag, Herr Präsident. Vielleicht könnte es Sie interessieren, dass Südafrika vorhat, binnen drei Monaten unter der Leitung eines durchgängig betrunkenen Vollidioten ein Stück Atombombe mit einer Sprengkraft von circa drei Megatonnen zu zünden. Das soll Anfang 1978 in der Kalahari-Wüste geschehen, genauer gesagt an dieser exakten Position: 26° 44’ 26’’ S, 22° 11’ 32’’ O. Danach will Südafrika sich mit sechs Bomben derselben Sorte eindecken, um diese nach eigenem Gutdünken einzusetzen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ein Freund
    Nombeko, die sich Gummihandschuhe übergezogen hatte, klebte das Kuvert zu, schrieb Namen und Adresse darauf und kritzelte in eine Ecke noch: »Amerika verrecke!« Dann steckte sie alles in ein zweites Kuvert, das schon am nächsten Tag nach Johannesburg geschickt wurde, an eine Professorin mit chinesisch klingendem Namen und der Berechtigung, geheime Dokumente zu lesen.
    * * * *
    Das Weiße Haus in Washington war einst von schwarzen Sklaven gebaut worden, die man aus Nombekos Afrika importiert hatte. Es war von Anfang an ein imposantes Gebäude gewesen, und hundertsiebenundsiebzig Jahre später erst recht. Das Haus hatte hundertzweiunddreißig Räume, fünfunddreißig Badezimmer, sechs Stockwerke, eine Bowlingbahn und ein Kino. Und ein Heer von Angestellten, die alles in allem über dreiunddreißigtausend Sendungen pro Monat entgegennahmen.
    Diese wurden samt und sonders geröntgt, speziell dafür ausgebildeten Hunden unter die empfindlichen Nasen gehalten und von den Mitarbeitern inspiziert, bevor sie zum eigentlichen Empfänger weiterbefördert wurden.
    Nombekos Brief schaffte es sowohl durch die Röntgen- als auch durch die Hundekontrolle, doch als ein träger, nichtsdestoweniger aber aufmerksamer Kontrolleur den Vermerk »Amerika verrecke!« auf einem Kuvert entdeckte, das direkt an den Präsidenten adressiert war, wurde natürlich Alarm ausgelöst. Zwölf Stunden später war der Brief nach Langley, Virginia, geflogen worden, wo er dem CIA -Chef Stansfield M. Turner vorgelegt wurde. Der Agent berichtete, wie das Kuvert ausgesehen hatte, dass die Fingerabdrücke nicht sonderlich zahlreich waren und an solchen Stellen saßen, dass man sie wahrscheinlich nur diversen Postbeamten zuordnen konnte, dass der Brief keine radioaktive Strahlung verbreitete, dass der Stempel authentisch wirkte, dass das Ganze vor acht Tagen von Postdistrikt Nummer neun in Johannesburg, Südafrika, verschickt worden war und eine Analyse ergeben hatte, dass der Text aus ausgeschnittenen Wörtern des Buches Frieden auf Erden zusammengeklebt war. Letzteres war von einem britischen Professor verfasst worden, der die These verfochten hatte, der Völkerbund und der Jazz könnten die Welt gemeinsam glücklich

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