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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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Liebe. Ich habe gehört, dass man positiv denken muss, wenn man Kinder kriegen will. Außerdem habe ich gelesen, dass du kein Quecksilber trinken solltest, weil das einer entstehenden Schwangerschaft schadet.«
    »Quecksilber?«, wunderte sich Henrietta. »Warum um Himmels willen sollte ich denn plötzlich Quecksilber trinken?«
    »Aber das sag ich doch die ganze Zeit! Und du solltest auch kein Soja essen.«
    »Soja? Was ist das denn?«
    »Keine Ahnung. Aber iss es nicht.«
    Im August 1960 hatte Ingmar wieder eine neue Idee, wie sie schwanger werden könnte, und wieder war es etwas, was er gelesen hatte.
    »Also, wenn du Kopfstand machst, während wir … es tun … dann können die Spermien leichter …«
    »Kopfstand?«
    Henrietta fragte ihren Mann, ob er noch alle Tassen im Schrank habe, und noch während sie es aussprach, ging ihr auf, dass ihr genau dieser Verdacht durchaus schon vorher gekommen war. Aber egal. Es würde ja doch nichts draus werden. Sie hatte resigniert.
    Umso überraschender war, dass die bizarre Stellung die Sache unterhaltsamer machte, als sie seit Langem gewesen war. Beide begleiteten das Abenteuer mit freudigen Ausrufen. Henrietta machte sogar einen Vorschlag, als sie entdeckte, dass Ingmar nicht sofort eingeschlafen war:
    »Das war gar nicht so blöd, mein Schatz. Wollen wir es noch mal versuchen?«
    Ingmar, der sich selbst wunderte, dass er noch wach war, erwog Henriettas Worte und antwortete:
    »Verdammt – ja!«
    Ob es beim ersten oder beim zweiten Durchgang geschah, war im Nachhinein nicht festzustellen, aber nach dreizehn Jahren fruchtloser Bemühungen wurde Henrietta endlich schwanger.
    »Holger, mein Holger, endlich bist du unterwegs!«, jubelte Ingmar den Bauch an, als er es erfuhr.
    Henrietta, die genug über Blumen und Bienen wusste, um eine Elsa nicht ganz auszuschließen, ging daraufhin in die Küche, um sich eine Zigarette anzuzünden.
    * * * *
    In den folgenden Monaten schaltete Ingmar einen Gang hoch. Jeden Abend las er vor Henriettas wachsendem Bauch laut aus Vilhelm Mobergs Deswegen bin ich Republikaner vor. Beim Frühstück plauderte er jeden Morgen durch den Nabel seiner Frau mit Holger über die republikanischen Gedanken, die ihn gerade erfüllten. Nicht selten wurde Martin Luther angegriffen, der die Meinung vertreten hatte, »wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen«.
    Es steckten mindestens zwei Fehler in Luthers Argumentation. Erstens war Gott nicht vom Volk gewählt. Und man konnte ihn auch nicht absetzen. Natürlich konnte man konvertieren, wenn man wollte, aber die Götter schienen letztlich ja doch alle vom selben Schrot und Korn zu sein.
    Zweitens musste man sich fragen, wer diese Herren denn wohl sein sollten und warum wir sie nicht erzürnen sollten.
    Henrietta mischte sich selten in Ingmars Monologe vor ihrem Bauch, doch ab und zu musste sie ihn unterbrechen, weil sonst das Essen auf dem Herd angebrannt wäre.
    »Warte, ich bin noch nicht fertig«, sagte Ingmar dann manchmal.
    »Die Grütze aber schon«, antwortete Henrietta. »Du und mein Nabel müsst euch morgen weiter unterhalten, wenn du nicht willst, dass das Haus in Flammen aufgeht.«
    Dann war es so weit. Einen ganzen Monat zu früh. Als das Fruchtwasser abging, war Ingmar glücklicherweise gerade von seiner Arbeit im verfluchten viel zu königlichen Postamt heimgekommen, wo er sich unter Androhung von Repressalien zu guter Letzt doch das Versprechen hatte abringen lassen, Gustav VI . Adolfs Konterfei nicht mehr auf sämtlichen Briefmarken, die ihm in die Finger kamen, mit Hörnern zu versehen. Und dann ging es ganz schnell. Henrietta schleppte sich zum Bett, während sich Ingmar beim Versuch, die Hebamme anzurufen, derart in der Telefonschnur verhedderte, dass er die ganze Buchse aus der Wand riss. Er stand immer noch fluchend auf der Schwelle zur Küche, als Henrietta nebenan ihr gemeinsames Kind gebar.
    »Wenn du fertig geflucht hast, kannst du gern reinkommen«, keuchte sie. »Aber nimm eine Schere mit, du musst hier nämlich eine Nabelschnur durchschneiden.«
    Eine Schere fand Ingmar zwar nicht (in der Küche kannte er sich nicht so gut aus), aber dafür eine Kneifzange aus dem Werkzeugkasten.
    »Junge oder Mädchen?«, fragte die Mutter.
    Der Form halber warf Ingmar einen Blick auf die Stelle, wo die Antwort auf diese Frage zu finden war, dann sagte er:
    »Klar ist das ein Holger.«
    Gerade wollte er seine Frau auf den Mund küssen,

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