Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
also dem Vorhaben weihen, das Königshaus in den Staub zu stürzen. Er wollte seiner Berufung bis in den Tod folgen und vorher dafür Sorge tragen, dass seine Nachkommen bereit waren, wenn ihm die Stunde schlug. Alles das zusammengenommen machte ihn zu einem sowohl listigen als auch geduldigen Menschen.
»Nicht meine Nachkomm en «, korrigierte Ingmar. »Mein Nachkomm e . Er soll Holger heißen.«
* * * *
Wie sich herausstellte, war Holger nicht annähernd so eifrig wie sein Vater. In den nächsten vierzehn Jahren widmete Ingmar sich im Wesentlichen zwei Dingen:
1. Alles über Unfruchtbarkeit zu lesen, was er in die Finger bekam, und
2. den König als Staatsmann und Person umfassend und unkonventionell zu schmähen.
Daneben vernachlässigte er seine Arbeit als Beamter auf dem rangniedrigsten Posten in der Post von Södertälje nicht mehr, als sein Vorgesetzter zur Not noch tolerieren konnte, und entging auf diese Art einer Kündigung.
Nachdem er die ganze Stadtbibliothek von Södertälje durchgeackert hatte, fuhr Ingmar regelmäßig nach Stockholm in die Königliche Bibliothek. Ein verabscheuungswürdiger Name, aber dort hatten sie Bücher bis zum Horizont.
Ingmar lernte alles, was es über Störungen des Eisprungs, Chromosomenabweichungen und gestörte Spermienproduktion zu wissen gab. Als er tiefer im Archiv grub, fand er auch Informationen, deren wissenschaftlicher Wert eher fragwürdig war.
So kam es zum Beispiel, dass er an manchen Tagen mit nacktem Unterkörper herumlief, von seiner Heimkehr von der Arbeit (gewöhnlich eine Viertelstunde vor Dienstschluss) bis zu dem Moment, wo es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Auf diese Art hielt er seine Hoden kühl, und das konnte der Schwimmfähigkeit der Spermien nur zugutekommen, wie Ingmar gelesen hatte.
»Könntest du wohl die Suppe umrühren, während ich die Wäsche aufhänge, Ingmar?«, sagte Henrietta vielleicht einmal.
»Nein, da kommen meine Hoden zu nahe an den Herd«, antwortete Ingmar.
Henrietta liebte ihren Mann noch immer, weil er so voller Leben war, aber zum Ausgleich brauchte sie hie und da eine John Silver mehr. Und noch eine. Übrigens brauchte sie noch eine Zigarette mehr an dem Tag, als Ingmar sich nützlich machen wollte und Sahne kaufen ging. Aus purer Vergesslichkeit unten ohne.
Ansonsten war er eher verrückt als vergesslich. Zum Beispiel hatte er gelernt, wann mit Henriettas Monatsblutung zu rechnen war. So konnte er an aussichtslosen Tagen wegfahren, um seinem Staatsoberhaupt das Leben schwer zu machen. Und das tat er dann auch. Im Großen wie im Kleinen.
Unter anderem gelang es ihm, Seine Majestät an dessen neunzigstem Geburtstag, dem 16. Juni 1948, zu ehren, indem er genau im richtigen Augenblick ein dreizehn Meter breites Transparent direkt über der Kungsgatan und dem königlichen Gefolge entrollte, auf dem stand: »Verrecke, alter Bock, verrecke!« Gustaf V . sah zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich schlecht, aber diese Aufschrift hätte ein Blinder lesen können. Wie Dagens Nyheter am nächsten Tag berichtete, hatte der König gesagt: »Der Schuldige soll gefasst und mir vorgeführt werden!«
Jetzt auf einmal.
Nach seinem Erfolg auf der Kungsgatan hielt sich Ingmar bis zum Oktober 1950 relativ bedeckt. Da heuerte er einen ahnungslosen jungen Tenor der Stockholmer Oper an, damit er sich vor Schloss Drottningholm stellte und unter dem Fenster des Zimmers, in dem der König im Sterben lag, das Lied »Bye-bye, Baby« sang. Der Tenor wurde von den Leuten verprügelt, die sich ebenfalls dort versammelt hatten, während Ingmar, der sich in den Gebüschen der Umgebung von früheren Gelegenheiten her gut auskannte, entkommen konnte. Der misshandelte Tenor schrieb ihm einen erbosten Brief und verlangte nicht nur die vereinbarte Bezahlung von zweihundert Kronen, sondern weitere fünfhundert Schmerzensgeld. Doch da Ingmar ihm einen falschen Namen und eine noch falschere Adresse gegeben hatte, verhallte diese Forderung ungehört, alldieweil der Chef der Müllabfuhr von Lövsta den Brief las, zusammenknüllte und in Verbrennungsofen 2 warf.
1955 folgte Ingmar dem neuen König durchs Land, ohne dass ihm irgendein neuer Coup gelingen wollte. Fast wäre er verzweifelt, und er dachte sich, dass gröbere Maßnahmen gefragt waren als bloße Meinungsbildung. Der König saß ja fester denn je auf dem Thron mit seinem fetten Arsch.
»Kannst du es denn nicht gut sein lassen?«, fragte Henrietta.
»Jetzt bist du schon wieder so negativ, meine
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