Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Befreiungskämpfen mitgemischt. Vor allem mit dem Engagement in Angola hatten sie ein Exempel statuiert. Die MPLA bekam sowjetische Waffen und musste im Austausch nur Resultate in der richtigen ideologischen Richtung präsentieren. Und selbstverständlich den sowjetischen Weg einschlagen. Verdammt!
Die Sowjets beeinflussten Angola und andere Länder im Süden Afrikas in eine Richtung, die sich so gar nicht mit den Vorstellungen der USA und Südafrikas vereinbaren ließ. Und was nahm China für eine Position in diesem allgemeinen Chaos ein? Lernten sie von den kommunistischen Abtrünnigen im Kreml? Oder gingen sie Hand in Hand mit den US-amerikanischen Imperialisten und dem Apartheidregime in Pretoria?
Noch mal verdammt!
Es wäre ja auch möglich gewesen, überhaupt keine Position einzunehmen und »walk-over« zu geben, wie die verfluchten Amerikaner es nannten. Wäre da eben nicht der Verdacht gewesen, dass Südafrika Kontakte zu Taiwan unterhielt.
Es war ein offenes Geheimnis, dass die USA einen Atomtest in der Kalahari-Wüste verhindert hatten. Also ahnten alle, was Südafrika gerade so trieb. Mit »alle« waren in diesem Zusammenhang sämtliche Nachrichtendienste gemeint, die ihren Namen verdienten.
Das entscheidende Problem bei der Sache war, dass nicht nur die Kalahari-Information auf Dengs Schreibtisch lag, sondern auch Berichte des Geheimdienstes, die behaupteten, dass Südafrika mit Taipeh über Kernwaffen verhandelte. Dass sich die Taiwanesen Missiles besorgten, die sie dann auf Festlandchina richten konnten, war völlig unakzeptabel. Wenn das geschah, würde es zu einer Zuspitzung der Lage im Südchinesischen Meer kommen, deren Ende nicht abzusehen war. Wo doch auch die amerikanische Pazifikflotte gleich nebendran lag.
Deng musste sich also auf die eine oder andere Weise mit dem widerwärtigen Apartheidregime verständigen. Sein Geheimdienstchef hatte zwar vorgeschlagen, nichts zu unternehmen und einfach abzuwarten, bis das südafrikanische Regime von selbst zusammenbrach. Daher war sein Geheimdienstchef nun auch nicht mehr Geheimdienstchef – denn wäre China sicherer, wenn Taiwan mit einer Atommacht im freien Fall Geschäfte machte? Darüber konnte sich der ehemalige Geheimdienstchef während der Arbeit in seinem neuen Job als Wachmann in der Pekinger U-Bahn Gedanken machen.
Mit der Situation umgehen, lautete die Devise. So oder so.
Deng konnte unmöglich selbst hinfahren und sich neben dem alten Nazi Botha ablichten lassen (obwohl der Gedanke auch etwas Verlockendes hatte, denn in der richtigen Dosis genossen, hatte der dekadente Westen durchaus seinen Charme). Und er konnte auch keinen seiner engsten Vertrauten hinschicken. Nach außen hin durfte es keinesfalls so aussehen, als würden Peking und Pretoria auf freundschaftlichem Fuß miteinander verkehren.
Andererseits war auch keinem damit gedient, wenn er einen rangniederen Bürokraten entsandte, der weder die rechte Beobachtungsgabe noch politisches Fingerspitzengefühl besaß. Außerdem musste der chinesische Gesandte ja auch einigermaßen hohe amtliche Würden bekleiden, um überhaupt eine Audienz bei Botha zu bekommen.
Es musste also irgendjemand sein, der tatsächlich etwas bewirken konnte – der aber trotzdem dem ständigen Ausschuss des Politbüros nicht so nahestand, dass man ihn sofort als Vertreter Pekings identifizieren konnte. Deng Xiaoping fand die Lösung in Gestalt des jungen Parteisekretärs der Guizhou-Provinz. Dort gab es fast mehr Völkergruppen als Menschen, aber der junge Mann hatte erst kürzlich unter Beweis gestellt, dass man auch anstrengende Minderheiten wie die Yao, Miao, Yi, Qiang, Dong, Zhuang, Buyi, Bai, Tujia, Gelao und Shui zusammenhalten konnte.
Wer auf diese Art elf Bälle in der Luft zu halten vermochte, der dürfte auch mit dem Exnazi Botha zurechtkommen, dachte sich Deng und sorgte dafür, dass der betreffende junge Mann nach Pretoria geschickt wurde.
Sein Auftrag: Südafrika durch die Blume mitteilen, dass eine Zusammenarbeit mit Taiwan in puncto Kernwaffen nicht akzeptabel war, und den Südafrikanern zu verstehen geben, mit wem man es hier zu tun bekam, wenn man Streit suchte.
* * * *
P. W. Botha war überhaupt nicht scharf drauf, einen chinesischen Provinzchef zu empfangen, das war unter seiner Würde. Im Übrigen war Botha gerade noch würdevoller geworden, weil der Titel Premierminister durch Präsident ersetzt worden war. Wie würde denn das aussehen, wenn er – der Präsident! – irgend so
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