Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
für seine eigene Bequemlichkeit brauchte.«
Holger 2 nahm Nombekos Trostworte an und kletterte dann auch auf die Kiste, wo er sich in der anderen Ecke auf die Kissen legte und einfach nur atmete. Das war alles ein bisschen zu viel gewesen – erst die Bombe in der Kiste unter ihnen und dann seine Lebensgeschichte. Zum ersten Mal hatte jemand Fremdes die ganze Wahrheit zu hören bekommen.
»Bleibst du, oder fährst du?«, fragte Holger 2.
»Ich bleibe«, sagte Nombeko. »Wenn ich darf.«
»Du darfst«, sagte Holger 2. »Aber ich glaube, jetzt brauche ich ein wenig Ruhe.«
»Ich auch«, sagte Nombeko.
Und sie legte sich gegenüber von ihrem neuen Freund hin, um ebenfalls einfach nur zu atmen.
In diesem Augenblick knarzte es laut, als sich ein Brett an der Kiste mit der Bombe löste.
»Was war das?«, fragte Holger 2, als das nächste Brett zu Boden fiel und ein Frauenarm zum Vorschein kam.
»Mir schwant da so was«, sagte Nombeko und sah ihre Ahnungen im nächsten Moment bestätigt, als drei chinesische Mädchen hervorkrochen und ins Licht blinzelten.
»Hallo«, sagte Kleine Schwester, als sie Nombeko sah.
»Hast du was zu essen?«, fragte Mittlere Schwester.
»Und zu trinken«, schlug Große Schwester vor.
10. KAPITEL
Von einem unbestechlichen Ministerpräsidenten und dem brennenden Wunsch eines Untertanen, seinen König zu kidnappen
Sollte dieser absurde Tag denn niemals ein Ende nehmen? Nummer zwei setzte sich auf seinem Kissenberg auf und sah die drei jungen Frauen an, die soeben aus der Kiste gekrochen waren.
»Was passiert denn bitte noch alles?«, fragte er.
Nombeko hatte sich schon einige Sorgen um die drei gemacht, weil nicht abzusehen war, was mit ihnen passieren würde, wenn die Sicherheitsvorkehrungen in Pelindaba verschärft wurden. Sie hatte schon befürchtet, dass ihre Freundinnen das Schicksal ereilt hatte, das ihr selbst zugedacht gewesen war.
»Was noch alles passiert, weiß ich nicht«, sagte sie, »denn so ist das nun mal im Leben. Aber ich kann dir sagen, was gerade passiert ist: Jetzt wissen wir nämlich, warum das große und das kleine Paket vertauscht wurden. Gratuliere, Mädels, grandioser Fluchtplan!«
Die Chinesenmädchen waren sehr hungrig, nachdem sie vier Tage und vier Nächte mit der Bombe in der Kiste verbracht hatten, mit nichts als zwei Kilo kaltem Reis und fünf Litern Wasser als Proviant. Sie wurden in Holgers Wohnung geführt, wo sie zum ersten Mal im Leben Blutwurst mit Preiselbeeren vorgesetzt bekamen.
»Erinnert mich an den Ton, aus dem wir früher Gänse gemacht haben«, sagte Mittlere Schwester kauend. »Darf man wohl um einen Nachschlag bitten?«
Als sie satt waren, wurden die drei in Holgers breites Bett gelegt. Er teilte ihnen mit, dass sie die einzig verbliebene, einigermaßen passable Wohnung im Haus bekommen sollten, die im obersten Stockwerk, aber die würde erst bewohnbar sein, wenn das große Loch in der Wohnzimmerwand geschlossen war.
»Tut mir leid, dass ihr heute Nacht so beengt schlafen müsst«, sagte Holger 2 zu den Mädchen, aber die waren bereits eingeschlummert.
* * * *
Ein Abbruchhaus heißt so, weil es abgerissen werden sollte. In Abbruchhäusern halten sich also nur in Ausnahmefällen Menschen auf.
Daher muss man es bemerkenswert nennen, dass in dem Abbruchhaus im sörmländischen Gnesta nun ein amerikanischer Töpfer, zwei sehr gleiche und ungleiche Brüder, eine zornige junge Frau, eine untergetauchte südafrikanische Asylantin sowie drei junge Chinesinnen mit mittelprächtigem Urteilsvermögen wohnten.
Alle befanden sie sich im kernwaffenfreien Schweden. Wand an Wand mit einer Atombombe von drei Megatonnen.
Bis dahin umfasste die Liste der Atommächte die USA , die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, China und Indien. Die Gesamtzahl an Sprengköpfen wurde von Experten auf ungefähr fünfundsechzigtausend geschätzt. Dieselben Experten waren sich nicht ganz so einig in der Frage, wie oft man die Erde damit in die Luft jagen könnte, denn die Sprengkraft der Atomwaffen war ja unterschiedlich. Pessimisten tippten auf vierzehn bis sechzehn Mal. Optimisten neigten zu zwei Mal.
Zu den oben Genannten musste auch Südafrika gezählt werden. Und Israel, obwohl keine der beiden Nationen Auskunft geben wollte. Vielleicht auch noch Pakistan, das versprochen hatte, seine eigenen Kernwaffen zu entwickeln, seit Indien testweise ein Exemplar gezündet hatte.
Und jetzt auch noch Schweden. Wenn auch unfreiwillig. Und ohne es selbst zu
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