Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
wissen.
* * * *
Holger und Nombeko ließen die Chinesenmädchen, wo sie waren, und gingen zurück ins Lager, um sich in aller Ruhe weiter zu unterhalten. Da stand die Bombe in ihrer Kiste, auf der ein Kissenberg lag, der richtig kuschelig aussah. Wenngleich die Gesamtsituation keine übertrieben kuschelige war.
Die beiden kletterten wieder auf die Kiste und setzten sich jeweils in ihre Ecke.
»Die Bombe«, sagte Holger 2.
»Die können wir ja schlecht hier stehen lassen, bis sie keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt«, meinte Nombeko.
Nummer zwei spürte, wie die Hoffnung in ihm aufkeimte. Wie lange würde das denn dauern?
»Sechsundzwanzigtausendzweihundert Jahre«, sagte Nombeko. »Plus minus drei Monate.«
Nummer zwei und Nombeko waren sich darüber einig, dass sechsundzwanzigtausendzweihundert Jahre zum Warten zu lang waren, selbst wenn sie bei der Fehlermarge Glück haben sollten. Nummer zwei erklärte daraufhin, was für politisches Dynamit diese Bombe darstellte. Schweden war ein neutrales Land und – nach eigener Auffassung – der vorderste Vertreter der höchsten Moral. Das Land glaubte, in höchstem Grade kernwaffenfrei zu sein, und hatte sich seit 1809 an keinem Krieg mehr beteiligt.
Holger 2 zufolge galt es nun, erstens die Bombe der Regierung zu übergeben und das Ganze zweitens so geschickt anzustellen, dass es kein Gerede gab. Außerdem musste das Manöver drittens so schnell über die Bühne gehen, dass der Bruder von Nummer zwei nebst Anhang gar nicht erst Gelegenheit bekam, irgendetwas anzustellen.
»Machen wir«, sagte Nombeko. »Wer ist euer Staatschef?«
»Der König«, sagte Holger. »Obwohl er nicht derjenige ist, der die Entscheidungen trifft.«
Ein Chef, der keine Entscheidungen traf. Ungefähr wie in Pelindaba. Da hatte der Ingenieur im Grunde alles gemacht, was Nombeko ihm gesagt hatte, ohne ein Jota davon zu verstehen.
»Wer trifft die Entscheidungen dann?«
»Tja, das macht wohl der Ministerpräsident.«
Holger 2 erzählte, dass der schwedische Ministerpräsident Ingvar Carlsson hieß. Und der war von einem Tag auf den anderen auf diesem Posten gelandet, nachdem sein Vorgänger Olof Palme mitten in Stockholm ermordet worden war.
»Dann ruf diesen Carlsson doch an«, schlug Nombeko vor.
Das machte Holger dann auch. Zumindest die Regierungskanzlei rief er an, fragte nach dem Ministerpräsidenten und wurde zu seiner Assistentin durchgestellt.
»Guten Tag, ich heiße Holger«, sagte Holger. »Ich würde gern mit Ingvar Carlsson über eine dringende Angelegenheit sprechen.«
»Aha. Worum geht es denn?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht verraten, das ist geheim.«
Olof Palme hatte seinerzeit im Telefonbuch gestanden. Wenn ein Bürger etwas von seinem Ministerpräsidenten wollte, konnte er ihn einfach zu Hause anrufen. Wenn er nicht gerade seine Kinder ins Bett brachte oder beim Abendbrot saß, nahm Palme sogar ab.
Aber das waren eben noch die guten alten Zeiten gewesen. Und die endeten am 28. Februar 1986, als der leibwachenlose Palme nach einem Kinobesuch hinterrücks erschossen wurde.
Sein Nachfolger wurde vom gemeinen Volk abgeschirmt. Seine Assistentin antwortete, der Herr Holger müsse schon verstehen, dass sie keine unbekannten Anrufer zum Ministerpräsidenten durchstellen konnte, nicht wahr?
»Aber es ist wichtig.«
»Das kann ja jeder behaupten.«
»Superwichtig.«
»Nein, tut mir leid. Wenn Sie wollen, können Sie einen Brief an …«
»Es geht um eine Atombombe«, sagte Holger.
»Was? Soll das eine Drohung sein?«
»Nein, verdammt! Ganz im Gegenteil. Das heißt, ja, die Bombe an sich stellt eine Bedrohung dar, deswegen will ich sie ja auch loswerden.«
»Sie wollen Ihre Atombombe loswerden? Und rufen den Ministerpräsidenten an, weil Sie sie ihm schenken wollen?«
»Ja, aber …«
»Ich kann Ihnen sagen, es passiert ziemlich häufig, dass die Leute versuchen, dem Ministerpräsidenten etwas zu schenken. Letzte Woche hatte ich da zum Beispiel so einen hartnäckigen Herrn von einer Generalvertretung, der eine neue Waschmaschine schicken wollte. Aber der Ministerpräsident nimmt auf diesem Wege keine Geschenke entgegen, das gilt auch für … Atombomben? Steht auch wirklich fest, dass es sich hier nicht um eine Drohung handelt?«
Holger versicherte nochmals, dass er keine bösen Absichten hege. Da ihm klar war, dass er nicht weiterkam, bedankte er sich, ohne dass es etwas zu danken gegeben hätte, und verabschiedete sich.
Dann rief er auf
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