Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
dachte sie. Aber zu einem Leben mit Hindernissen, wenn man sich vor Augen hielt, dass sie eine Atombombe im Gepäck und sicher ein, zwei zielstrebige Mossadagenten auf den Fersen hatte.
Trotzdem. Hier hatte sie nun eine eigene Wohnung, statt einer Hütte in Soweto. Sie brauchte nie wieder Scheiße zu verwalten, und sie war nicht mehr hinter einem Doppelzaun eingesperrt, mit einem Ingenieur, der eine ganze Kognakindustrie im Alleingang am Leben halten konnte.
Die Nationalbibliothek in Pretoria war gestorben. Dafür gab es aber eine Entsprechung in Gnesta. Und zwar eine ziemlich umfangreiche, wie Holger 2 behauptete.
Und sonst?
Am liebsten hätte sie diese verdammte Atombombe ja genommen und geradewegs zurück zur israelischen Botschaft gebracht. Sie hätte sie vielleicht einfach auf die Straße gestellt, die Torwache zugequatscht und wäre dann weggerannt. Dann hätte sie sich wieder in den schwedischen Integrationsprozess einfädeln, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, an der Universität studieren und mit der Zeit schwedische Bürgerin werden können.
Und dann? Tja, schwedische Botschafterin in Pretoria werden, das wäre gar nicht blöd. Dann hätte sie gleich als Erstes Präsident Botha zum Abendessen eingeladen, ohne ihm etwas zu essen zu servieren.
Nombeko lächelte über ihre Fantasien.
Die Wirklichkeit sah jedoch so aus, dass Holger sich weigerte, die Bombe irgendjemand anders zu überlassen als dem schwedischen Ministerpräsidenten. Eventuell noch dem König. Und dass beide sich weigerten, mit ihm zu sprechen.
Holger war das Normalste, was ihr in ihrem ganzen Leben über den Weg gelaufen war. Sehr angenehm. Nombeko spürte, dass sie seinen Beschluss respektieren wollte.
Doch ansonsten schien es ja ihr Schicksal zu sein, ausschließlich von Volltrotteln umgeben zu sein. Lohnte es sich überhaupt, dagegen anzukämpfen? Andererseits war die Frage, wie man konstruktiv mit einem Volltrottel umgehen soll.
Der amerikanische Töpfer zum Beispiel, von dem Holger erzählt hatte. Sollte sie ihn seinem Wahnsinn überlassen? Oder sollte sie ihn aufsuchen und ihm klarmachen, dass sie nicht automatisch und zwangsläufig von der CIA geschickt war, bloß weil sie Englisch sprach?
Und die Chinesenmädchen, die schon lange erwachsene Frauen waren, sich aber einfach nicht so benahmen. Sie würden sich sicher bald von der Reise, der Blutwurst und dem Schlaf berappeln und anfangen sich umzusehen. Inwiefern war Nombeko für ihre Zukunft verantwortlich?
Da war es schon leichter mit Holgers Bruder, der genauso hieß. Dieser Bruder musste von der Bombe ferngehalten werden. Ebenso seine Freundin. Das war eine Aufgabe, die man nicht delegieren konnte.
Die Putzfrau aus Pelindaba begriff, dass es auch hier das eine oder andere aufzuräumen gab, bevor das Leben so richtig beginnen konnte. Schwedischlernen stand schon mal ganz oben auf ihrer Liste, denn Nombeko hielt den Gedanken nicht aus, dass sie zwei Kilometer von einer Bibliothek entfernt wohnte, ohne sie nutzen zu können. Die Bombe sicher zu verwahren, war aber mindestens ebenso wichtig. Und ansonsten konnte sie nicht anders, sie würde keinen Seelenfrieden finden, solange sie sich nicht um den verrückten amerikanischen Töpfer und die drei sorg- und vernunftlosen Schwestern kümmerte. Im Übrigen hoffte sie jedoch, dass Zeit übrig blieb für den einzigen Umgang, den sie wirklich schätzte, nämlich den mit Holger 2.
Aber jetzt erst mal schlafen. Nombeko betrat ihre Wohnung und zog die Tür hinter sich zu.
* * * *
Als sie am nächsten Morgen die Lage sondierte, stellte sich heraus, dass Holger 1 frühzeitig losgefahren war, um Kissen in Göteborg auszuliefern, und dass er die junge Zornige mitgenommen hatte. Die drei Chinesenmädchen waren aufgewacht, hatten die Fleischwurst aufgegessen und waren wieder eingeschlafen. Holger 2 saß mit administrativen Tätigkeiten auf der neu eingerichteten Kuschelecke im Lager (wobei er gleichzeitig die Bombe bewachte), und da die meisten Schriftstücke, die er bearbeiten musste, auf Schwedisch abgefasst waren, konnte Nombeko ihm nicht helfen.
»Wie wäre es, wenn ich mich in der Zwischenzeit mit dem Töpfer bekannt mache?«, sagte sie.
»Da wünsche ich dir viel Glück«, sagte Holger 2.
»Wer ist da?«, fragte der Töpfer durch die Tür.
»Ich heiße Nombeko«, sagte Nombeko. »Ich bin nicht von der CIA . Dafür ist mir der Mossad auf den Fersen, also lass mich doch bitte rein.«
Da die Neurose des Töpfers nur den
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