Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
um Himmels willen haben Sie mir zehn Kilo Pferdefleisch geschickt?«, fragte der Außenminister seinen Agenten.
Mossadagent A brauchte nicht lange, um eins und eins zusammenzuzählen. Er begriff sofort, was geschehen war.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Herr Minister, aber hier liegt eine schreckliche Verwechslung vor. Ich werde mich sofort um die Angelegenheit kümmern!«
»Wie zum Teufel ist es möglich, das, was ich bekommen sollte, mit zehn Kilo Pferdefleisch zu verwechseln?«, fragte Shimon Peres, der das Wort »Atombombe« am Telefon nicht in den Mund nehmen wollte.
»Antilopenfleisch, um genau zu sein«, sagte Agent A und bereute schon im nächsten Augenblick seine Worte.
Zu guter Letzt gelang es dem Mossadagenten A, seinen erbosten Außenminister abzuwimmeln und die israelische Botschaft in Stockholm anzurufen. Dort wurde er zur Torwache durchgestellt und sagte:
»Die Achthundert-Kilo-Lieferung aus Südafrika darf auf keinen Fall die Botschaft verlassen. Rühren Sie sie nicht mal an , bis ich bei Ihnen bin!«
»Bedaure vielmals«, sagte der Wachmann. »Eine nette Schwarze war gerade mit einem Lkw hier und hat die Lieferung abgeholt. Leider kann ich Ihnen ihren Namen nicht sagen, weil ich in dieser Hektik hier die Quittung garantiert nicht finde.«
Mossadagent A fluchte nie. Er war zutiefst religiös und hatte schon als Kind gelernt, was man sagen durfte und was nicht. Jetzt legte er den Hörer auf, setzte sich auf die Bettkante und sagte:
»Gottverfluchte Scheiße!«
Agent A malte sich im Geiste aus, wie er Nombeko Mayeki umbringen würde. Die langsamsten Varianten gefielen ihm am besten.
* * * *
»Eine Atombombe?«, sagte Holger.
»Eine Atombombe«, sagte Nombeko.
»Eine Kernwaffe?«
»Auch das.«
Nombeko fand, dass Holger es verdiente, die ganze Geschichte zu hören, nachdem die Dinge nun mal so standen, wie sie standen. Also erzählte sie ihm von Pelindaba, von dem geheimen Kernwaffenprojekt, von den sechs Bomben, aus denen sieben geworden waren, von Ingenieur Westhuizen, von seinem Glück, von seinem Klipdrift, seinem unglücklichen Abtreten, den beiden Mossadagenten, der Kiste mit Antilopenfleisch, die nach Stockholm sollte, und dem wesentlich größeren Paket, das nach Jerusalem sollte. Sie ging zwar nicht bis ins letzte Detail, aber Holger konnte sich rasch ein ungefähres Bild der Lage machen.
Er verstand alles, nur nicht, wie es zu so einem Irrtum kommen konnte. Nombeko und die Agenten hatten doch nur zwei Pakete verschicken müssen, ein kleines und ein gigantisches, das konnte doch wohl so schwer nicht sein?
Nombeko war sich nicht sicher, hatte da aber so ihren Verdacht. Die Sache war nämlich die, dass sich in der Forschungsanlage drei nette, aber etwas schusselige chinesische Mädchen mit mittelprächtigem Urteilsvermögen um die Post kümmerten. Nombeko nahm an, zwei Etiketten waren einfach eines zu viel gewesen. Und da war es eben dumm gelaufen.
»Ja, das kann man wohl sagen«, meinte Holger und merkte, wie ihm innerlich ganz kalt wurde.
Eine Weile sagte Nombeko gar nichts, dann fuhr Holger fort:
»Die Vertreter eines der besten Geheimdienste der Welt und du, ihr habt diese Adressaufkleber also drei schusseligen Mädchen mit mittelprächtigem Urteilsvermögen in die Hand gedrückt?«
»Das ist korrekt«, sagte Nombeko. »Wenn man die Dinge zugespitzt ausdrücken will, und das muss man hier vielleicht auch, in Anbetracht der Situation.«
»Wer setzt denn bitte unzuverlässige Mitarbeiter auf die Stelle, die die Ausgangspost bearbeitet?«
»Und die Eingangspost«, sagte Nombeko. »Tja, das war wohl der Ingenieur. Einer der dümmsten Menschen, die mir je begegnet sind. Lesen konnte er, aber sehr viel mehr auch nicht. Er erinnerte mich an einen erschreckend beschränkten Assistenten des Sanitätsamtes Johannesburg, mit dem ich in jungen Jahren öfter zu tun hatte.«
Holger sagte nichts, sondern ließ sein Hirn auf Hochtouren arbeiten.
»Sollen wir umdrehen und die Bombe an die Israelis zurückgeben?«, fragte Nombeko.
Da erwachte Holger aus seiner geistigen Lähmung.
»Niemals!«, rief er.
Er hatte auch eine Lebensgeschichte, die ihresgleichen suchte, es war nämlich so, wenn Fräulein Nombeko das richtig verstehen wollte, dass er gewissermaßen gar nicht existierte, das hatte er ja schon angedeutet. Aber sein Land liebte er trotzdem. Und es kam überhaupt nicht infrage, dass er dem israelischen oder irgendeinem anderen Geheimdienst freiwillig eine Nuklearwaffe
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