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Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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Sie ging mit der extra Flasche Chablis, die sie sich für zu Hause gekauft hatte, zu ihrem Auto. Sie
wollte ihren Rausch ganz allein genießen und freute sich schon auf die heiße Badewanne.
    Sie drehte den Schlüssel im Zündschluss, doch statt des Motorbrummens hörte sie nur ein kurzes Klicken, das ihr signalisierte, dass der Wagen keinen Strom mehr hatte. Das musste an der feuchtkalten Luft liegen. In Dänemark hatte sie nie diese Probleme gehabt, doch hier oben gab die Batterie regelmäßig den Geist auf. Sie ließ den Blick über den leeren Parkplatz schweifen und sah ein, dass die nächste Hilfe drinnen an der Theke zu finden war, die sie eben erst fluchtartig verlassen hatte. Im Geiste sah sie bereits, wie sich die Männer um ihren Mercedes scharten und einander mit technischen Erklärungen zu übertrumpfen versuchten. Nein, darauf hatte sie nun wirklich keine Lust, und die Aussicht, vor dem Skudekroen auf ein Taxi zu warten, fand sie ebenso wenig verlockend. Also ging sie der Brücke entgegen und hoffte, dass schon irgendwann eines vorbeikommen würde. Morgen wollte sie Eskild anrufen und bitten, ihren Wagen zu untersuchen. Vielleicht würde sie ihn sogar überreden können, sie auf dem Weg abzuholen, damit sie nicht zu spät zur Arbeit kam. Sie überlegte, ob sie ihre Arzttasche mitnehmen sollte, doch im Grunde war sie im abgeschlossenen Kofferraum am besten aufgehoben. Außerdem musste sie auch noch die Flasche Chablis tragen, die sie keinesfalls zurücklassen wollte.
    Â 
    Die Stadt lag einsam und verlassen da, und nur anhand der erleuchteten Fenster konnte Maja sehen, dass sie bewohnt war. Zwischen dem Skudekroen und der Brücke kam ihr kein einziges Fahrzeug entgegen. Maja verfluchte so langsam ihren Plan, hatte jedoch keine Alternative. Sie schaute zur Brücke empor, die sich über dem Hafenbecken wölbte wie eine zweite Midgardschlange. Die Straßenlaternen beleuchteten punktuell ihren Rücken und zeichneten die
achtundzwanzig Höhenmeter nach, die sie sich in den frostklaren Nachthimmel erhob. Das große Metallschild auf der Mitte der Brücke, das mit großen roten Zahlen ihre Dimensionen verkündete, ächzte bei jedem Windstoß. Sie wusste, dass sie einen anstrengenden Weg vor sich hatte. Wenn sie erst einmal den Rücken der Schlange betreten hatte, würde ihr der eisige Seewind unablässig ins Gesicht schlagen. Maja sah sich ein letztes Mal nach einem Taxi um, aber die Straße war leer.
    Mit hochgeschlagenem Mantelkragen begann sie ihre Wanderung über den schmalen Fußweg der Brücke. Sie wollte die Kälte auf Distanz halten, indem sie sich auf das warme Bad zu konzentrieren versuchte, das sie erwartete. Erst wenn sie ihre Wohnungstür aufschloss, wollte sie ihren Körper wieder aufwecken. Zu gern hätte sie den Chablis stehen lassen, um wenigstens die Hände in den Taschen wärmen zu können, doch diesen Triumph gönnte sie dem Polarwind nicht. Stattdessen stapfte sie unbeirrt dem Scheitelpunkt der Brücke entgegen. Der beißende Wind nahm ihr fast die Sicht, sodass sie den Weg durch einen Tränenschleier hindurch erahnen musste. Der Anstieg war so steil, dass sie hätte glauben können, der Weg führe direkt in den schwarzen Nachthimmel, zum Oriongürtel empor. Wäre es nicht so bitterkalt gewesen, hätte sie den Anblick womöglich genossen.
    Das riesige Metallschild am Rande der Brücke machte einen ohrenbetäubenden Lärm, indem es ein ums andere Mal gegen die Betonwand schlug. Maja spürte die Erschütterungen, als sie den höchsten Punkt der Brücke erreichte. Von nun an würde es Gott sei Dank wieder bergab gehen, der Heringsinsel und ihrer warmen Badewanne entgegen. Sie beschleunigte ihren Gang und konnte in der Ferne bereits die Neonreklame des Supermarkts erkennen, der neben der Werft lag. Die leuchtenden Buchstaben waren ihr Leitstern
und wurden mit jedem Schritt heller und größer. Sie überstrahlten die Lichter am Himmel, ja sogar den Schein, der aus der Montagehalle B drang, in der weiter an der Fertigstellung von Hildegun II gearbeitet wurde.
    Doch plötzlich blieb sie stehen. Eine Gestalt war vor ihr aus dem Dunkel aufgetaucht, stand weniger als zehn Meter von ihr entfernt und hielt sich am Geländer fest. Die Tätowierung auf dem Handrücken sprang ihr sofort ins Auge. Der Mann kam auf sie zu. Maja hielt die Luft an. Wie in

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