Die Anatomie des Todes
Gesichtszügen. Es war Erik Skarv.
Sein bloÃer Anblick verursachte einen Druck auf ihr Zwerchfell. Sie hörte zwar nicht, was er zu den Umstehenden sagte, doch ihre Reaktion war eindeutig. Alle nickten beifällig, während ihre respektvollen Mienen bezeugten, dass er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit besaÃ. Erik Skarv war zweifellos der Mittelpunkt der Runde, zu der zwei weitere Männer gehörten, von denen sie nur einen identifizieren konnte. Der Mann im blauen Anzug war der Polizeichef der Stadt.
Maja bezweifelte, dass einer dieser grauen Eminenzen einen eigenen Stand auf dem Flohmarkt hatte. Die waren offenbar den gemeinen Logenbrüdern vorbehalten. Hingegen wettete sie darauf, dass der gesamte Logenvorstand anwesend war. Männer, die einander sicher aus zahlreichen anderen Vorständen kannten. Männer, die es stets gewohnt waren, an den richtigen Strippen zu ziehen, um alles in ihrem Sinne zu regeln. Eine unglaubliche Konzentration von Macht hatte sich hier versammelt.
Wer sich dieser Macht widersetzte, hatte nur zwei Möglichkeiten: den Kopf einzuziehen oder die Flucht zu ergreifen, um sich aus ihrem Bannkreis zu befreien. So wie Maja vor langer Zeit die Flucht ergriffen hatte und sich immer noch auf einer ziellosen Reise befand. Doch keine dieser Möglichkeiten schien ihr sonderlich verlockend zu sein. Diese ganze Geschichte war der einzige Haltepunkt in ihrem Leben, und ihr Abreisedatum hing einzig und allein mit der Aufklärung von Jos Tod zusammen. Andernfalls mussten sie Maja in einem Sarg nach Hause schicken. Sie wusste
nicht, wie viele der umstehenden Männer in Skarvs Geschäfte verwickelt waren, doch wie sie unmittelbar vor ihr einen geschlossenen Ring bildeten, wirkten sie alle gleich schuldig. Stig hatte gesagt, dass Skarv keine Gesetze zu brechen brauche, um seine Ziele zu erreichen. Er musste sie nur verändern. Und der Beweis dieser Theorie stand ihr in diesem Moment leibhaftig vor Augen.
Dennoch hatte auch Erik Skarv die Gesetze brechen müssen, als es um Lilleengen, Kvam, Munkejord und sie selbst ging. In Sachen Mord konnte nicht einmal er die Gesetze ändern. Umso mehr drängte sich die Frage auf, warum er es für nötig hielt, seine Killer hierherzubeordern. Falls sie erwischt wurden, stünde sein gesamtes Imperium auf dem Spiel.
Doch vielleicht brauchte er auch in diesem Fall nichts zu befürchten. Denn war nicht die ganze Stadt so eingerichtet, dass fast jeder direkt oder indirekt für Erik Skarv arbeitete? Konnte er nicht nahezu jeden austauschen, der ihm in die Quere kam, ganz gleich, welche Position er bekleidete? Das einzige Mittel, einem Mann wie Erik Skarv zu widerstehen, bestand darin, sich über seine Macht hinwegzusetzen, sie einfach zu ignorieren. Für einen Moment die Konsequenzen des eigenen Handelns zu verdrängen, die Strafen und Repressalien, die kommen mussten, in der Gewissheit zu erdulden, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde.
Maja schloss die Finger um den Injektor in ihrer Manteltasche, während sie mit unsicheren Schritten auf Skarv und seine Leute zuging. Sie konzentrierte sich ganz auf seinen weiÃen Nacken, der sich zwischen dem blaukarierten Hemdkragen und dem Haaransatz, der auf der rechten Seite ein wenig schief geschnitten war, abzeichnete. Die Titaniumnadel des Injektors war stabil genug, um einer Begegnung mit Skarvs Halswirbeln standzuhalten. Wenn sie nur
hart genug zustieÃ, würde das Fentanyl von allein den Weg in sein Rückenmark finden, und vielleicht könnte sie damit ein Zeichen setzen.
»Frau Dr. Holm!«, hörte sie plötzlich eine Stimme.
Maja sah den Klinikdirektor, der verhalten lächelte.
»Dr. ⦠Titland â¦Â«, brachte sie mühsam über die Lippen.
Der kleine Kreis der Logenbrüder drehte sich geschlossen zu ihr um. Sie lieà den Injektor los.
»Ich dachte, Sie wären längst abgereist.«
»Das werde ich erst, wenn meine Arbeit hier beendet ist.« Sie warf Erik Skarv einen herausfordernden Blick zu.
»Wie ich gehört habe, arbeiten Sie nicht mehr im Ãrztehaus«, warf Skarv ein.
»Was ja nicht heiÃt, dass niemand mehr krank wird.«
Titland schaute sie über den Rand seiner Brille fragend an. »Sie behandeln Ihre Patienten doch wohl nicht auf eigene Rechnung?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber nein. Ich habe nur den Eid nicht vergessen, den ich geschworen habe.«
Titland wandte den
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