Die Anatomie des Todes
die es bereits einen Interessenten gäbe. Sie fragte sich, wohin er selbst ziehen wollte, aber davon schrieb er nichts. Hingegen bat er sie, ihm die Vollmacht möglichst schnell zurückzuschicken, damit sie endlich »die letzten Formalitäten« erledigen könnten. Die Anführungsstriche stammten von ihm. Einiges deutete darauf hin, dass er ihre Trennung endlich akzeptierte und nach vorn blickte. Er schrieb noch einiges zur Verteilung des Geldes, nachdem die Wohnung verkauft sein würde, aber sie hatte keine Lust weiterzulesen. Jan war schon immer ein Pfennigfuchser gewesen und würde schon dafür sorgen, dass ihm der gröÃere Teil der Summe zufiel. Wie dem auch sei, im Grunde konnte sie froh sein, dass dieses Kapitel damit endgültig abgeschlossen war. Gleich morgen wollte sie das Postamt an der Storgata aufsuchen und ihm die unterschriebene Vollmacht zurückschicken. Danach würde sie zum Ãrztehaus fahren und nach Stavanger mailen, dass sie das dortige Jobangebot annahm. Ihre Vergangenheit würde sie hier zurücklassen. Maja zog den Stöpsel aus der Wanne.
8
Es war mal wieder ein hektischer Tag im Ãrztehaus. Da sich Majas Kollege Niels Ole krankgemeldet hatte, mussten sie seine Patienten unter sich aufteilen. Doch natürlich war es Milten gelungen, sich seinem Teil der Verantwortung zu entziehen, da er »administrativen Verpflichtungen« nachkam, die sich angeblich nicht aufschieben lieÃen. Daher konnte sich Maja auf einen weiteren langen Tag einrichten, gefolgt von der Spätschicht in der Notaufnahme, die sie fest zugesagt hatte.
Sie hatte die Ergänzungen der Patientenakte noch nicht ganz erledigt, als der nächste Patient hereinkam.
»Bitte nehmen Sie Platz.« Maja streckte den Arm aus, ohne aufzublicken. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte, dass Sie mir ein Schlafmittel verschreiben.«
Maja legte die Akte beiseite und sah die ältere Dame an, die zusammengesunken vor ihr auf dem Stuhl saÃ. Sie trug einen eleganten marineblauen Mantel sowie ein Halstuch. Ihre Kleidung lieà darauf schlieÃen, dass sie sich gut auf diesen Arztbesuch vorbereitet hatte, wenngleich ihre Garderobe nicht verhehlen konnte, dass sie ein arbeitsreiches Leben hinter sich hatte. Ein Leben, dessen Folgen sich nun bemerkbar machten.
»Was bekommen Sie von meinem Kollegen denn sonst verschrieben?«, erkundigte sich Maja. Sie warf einen Blick in die Unterlagen.
Die alte Dame schaute sie verwirrt an. »Bis jetzt ⦠habe ich noch nichts nötig gehabt.«
Maja überflog die Akte, um sich ein Bild von ihrem etwaigen
Krankheitsverlauf zu machen. »Trinken Sie etwas am Abend? Tee, Kaffee oder Wasser?«
Die Frau antwortete, dass sie zu den Spätnachrichten immer eine Tasse Tee und ein Käsebrot zu sich nahm, manchmal auch ein Glas Saft.
»Keinen Alkohol?«
»Um Gottes willen, nein.«
Maja lächelte diplomatisch.
»Das ist nur eine Routinefrage, um herauszufinden, was Ihren Schlaf stören könnte.«
Es würde vermutlich schwierig sein, ihr die Tasse Tee am Abend auszureden, und gegen ein leichtes Schlafmittel war im Grunde nichts einzuwenden. Maja wollte gerade das Rezept ausstellen, als sie der Akte entnahm, dass die Frau schon verschiedene schmerzstillende Medikamente sowie Antidepressiva einnahm. »Wie ich sehe, ist Ihnen bereits Mandolgin verschrieben worden.«
Die ältere Dame nickte. »Das ist gegen meine Rückenschmerzen.«
»Und Cipramil?«
Die Frau blickte zu Boden.
»Ja, das bekomme ich auch.«
Maja las weiter. Die Medikamentierung der Patientin konnte gelinde gesagt als umfassend bezeichnet werden.
»Ich habe ein wenig Bedenken, Ihnen auch noch ein Schlafmittel zu verschreiben. Man sollte nicht zu viele Medikamente miteinander kombinieren. Dürfte ich mal Ihren Blutdruck messen?«
Die Frau zog ihren Mantel aus und krempelte den Ãrmel ihrer hellgrauen Bluse auf. Unter beiden Achseln befanden sich feuchte Flecken, doch sie roch nur ganz schwach nach SchweiÃ.
Maja pumpte die Manschette auf und las die Werte auf dem Display ab.
»Sie haben etwas erhöhten Blutruck, aber alles noch im normalen Bereich«, teilte sie mit.
»Das war schon immer so.«
Maja nahm der Frau die Manschette ab, während sie zu erklären versuchte, wie sich verschiedene Stoffe in ihrer Wirkung verstärkten, was manchmal lebensgefährlich sein könne. Und die
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