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Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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versuchte unablässig, mit der Zunge ihren Gaumen zu befeuchten, was den Geruch nach Desinfektionsmittel und Fäulnis nur verstärkte. Wie sie neben dem Obduktionstisch stand, gegenüber dem in die Jahre gekommenen Chefpathologen Joseph Linz, meinte sie die konzentrierte Atmosphäre der pathologischen Abteilung in sich aufzunehmen. Auf die Nachricht, die sie ihm hatte zukommen lassen, hatte er nicht reagiert. Daher hatte sie ihn persönlich aufgesucht.
    Â»Ich kann mich gut an Jo Lilleengen erinnern. Eine schöne Leiche«, bemerkte Linz. »Wir nennen sie schön, wenn sie unversehrt sind«, fügte er hinzu.
    Â»Also eine unproblematische Diagnose?«
    Seiner gerunzelten Stirn nach zu urteilen, hielt er ihre Wortwahl wohl für ein wenig unglücklich. »Welche Todesursache würden Sie im vorliegenden Fall diagnostizieren?«, fragte er im Gegenzug. Er deutete auf den spiegelblanken stählernen Obduktionstisch, der zwischen ihnen stand.
    Â»Wollen Sie das wirklich wissen?« Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Â»Sonst würde ich nicht fragen«, antwortete er kühl.
    Erneut betrachtete sie den Obduktionstisch. Darauf lag ein mächtiger Kronenhirsch. Aus irgendeinem Grund hatte Linz die Kopfhaut des Tieres entfernt, sodass sein Schädel bloßlag. Das markante Einschussloch in der Herzgegend sowie Linz’ Diensteifer bei der Obduktion eines Tieres ließen
darauf schließen, dass es sich um seine persönliche Jagdtrophäe handelte.
    Â»Ich würde sagen, das Opfer ist einem Schuss erlegen. Vermutlich aus einem Jagdgewehr.«
    Erneut versuchte sie es mit einem Lächeln, und erneut verzog Linz keine Miene.
    Â»Ich gehe davon aus, dass pathologische Grundkenntnisse selbst in Dänemark Bestandteil des Medizinstudiums sind. Wäre es da nicht eine gute Gelegenheit, Frau Doktor …«, er warf einen Blick auf ihr Namensschild, » … Frau Dr. Holm, sich an diese Grundkenntnisse zu erinnern, bevor Sie eine voreilige Diagnose abgeben?«
    Hätte sie nicht beharrlich ihr Ziel vor Augen, an Jo Lilleengens Obduktionsbericht heranzukommen, hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre gegangen. Stattdessen blickte sie zu Linz’ Assistentin hinüber, die mit einer Atemschutzmaske am Seziertisch saß und Gewebeproben untersuchte.
    Maja wandte sich wieder dem Chefpathologen zu und mobilisierte ihr charmantestes Lächeln, während sie sich Einmalhandschuhe überstreifte.
    Â»Sie haben völlig recht, Dr. Linz, selbst in Dänemark werden ein paar Grundkenntnisse vermittelt.«
    Vom Rollwagen, auf dem einige zierliche Instrumente aufgereiht lagen, nahm sie zwei zylinderförmige Probeprojektile, Kaliber 38 und 45.
    Â»Beim Opfer handelt es sich um einen männlichen Rothirsch, Cervus elaphus. Nach Geweih und Körperbau zu urteilen, zirka acht Jahre alt. Das vernarbte Gewebe an Bauch und Vorderläufen lässt darauf schließen, dass er sehr aktiv war, was die Verteidigung seines Rudels betraf.«
    Mit dem 45er-Probeprojektil zeigte sie auf die weiß gesprenkelten Gewebezonen, ehe sie fortfuhr.
    Â»Die frisch verheilte Wunde an der Vorderseite deutet
darauf hin, dass er noch in der letzten Woche einen Kampf ausgetragen hat. Ich nehme an, dass er ihn verloren hat.«
    Â»Warum?«
    Â»Die Verletzung war so schwerwiegend, dass er vermutlich zu langsam wurde und den Anschluss an sein Rudel verloren hat.«
    Sie ließ ihre Finger am länglichen Riss entlangwandern, der sich wie eine feuerrote Schlange vom linken Vorderlauf bis zur Brust erstreckte.
    Linz wiegte bedächtig den Kopf. Seine verschränkten Arme gaben ihr deutlich zu verstehen, dass ihm die Entwicklung ihres Gesprächs ganz und gar nicht behagte. »Sie gehen womöglich selbst auf die Jagd?«
    Ohne aufzublicken schüttelte sie entschieden den Kopf. »Ich habe meinem Exfreund nur geholfen, sich auf die Jagdprüfung vorzubereiten.« Sie verschwieg, dass sie vor einigen Monaten an einem Wochenendkurs über Kriegsverletzungen teilgenommen hatte. In erster Linie hatten sie Schweine operiert, die zu diesem Zweck mit Munition verschiedenen Kalibers angeschossen worden waren. Das war, bevor die Wahl ihres Arbeitsplatzes auf Norwegen statt auf Afghanistan fiel.
    Sie ließ den Finger um das Einschussloch kreisen und nahm anschließend Schwefelgeruch an ihrem Handschuh wahr. Das Tier war aus kurzer Distanz erschossen

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