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Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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führen wir mehr als vierhundert Obduktionen im Jahr durch.« Er drehte den Hahn ab und fuhr fort: »Womit ich vollkommen einverstanden bin, wenn es uns dadurch gelingt, neue Krankheiten zu erkennen, Krebs zu heilen oder – was wahrscheinlicher ist – Fehldiagnosen schlampiger Ärzte zu verhindern.«
    Joseph Linz nahm die elektrische Säge vom Rolltisch.
    Â»Aber verschonen Sie mich in Zukunft mit den überflüssigen Obduktionen Ihrer Drogenopfer!«
    Vor Wut schoss ihr die Röte ins Gesicht. Abgesehen von der chemischen Analyse, mit der Linz nichts zu tun hatte, dürfte die Obduktion von Lilleengen nicht mehr Zeit in Anspruch genommen haben als die Sektion seines verdammten Hirschen.
    Â»Ich darf also davon ausgehen, dass Sie nichts Ungewöhnliches gefunden haben.«
    Linz wechselte schweigend das Blatt der Kreissäge aus.
    Â»Zum Beispiel Spuren eines Kampfes …«, fuhr sie fort.
    Â»Das hätte Ihnen auch selbst auffallen können, bevor Sie die Obduktion beantragt haben.«

    Maja riss der Geduldsfaden. »Hätte es, richtig. Da dies aber nicht der Fall ist, bitte ich einen Kollegen um Hilfe. Ist das so schwer zu begreifen?«
    Ihr Ausbruch war so heftig, dass die Assistentin für einen Moment aufblickte, ehe sie sich wieder ihren Gewebeproben zuwandte. Linz setzte die Schutzbrille auf und schaltete die Säge ein. Sie machte dasselbe heulende Geräusch wie der Bohrer eines Zahnarztes.
    Â»Falls Sie Akteneinsicht wünschen, rate ich Ihnen, einen schriftlichen Antrag bei der Klinikleitung zu stellen. Allerdings würde ich ihn an Ihrer Stelle nicht damit begründen, dass Sie vergessen haben, sich selbst ein Bild zu machen.«
    Maja wusste, dass es keinen Sinn hatte, an seine Kollegialität zu appellieren. Sie warf die Handschuhe in den Mülleimer. Sie konnte es nicht erwarten, endlich unter die Dusche zu kommen und sich Linz’ ganze Welt vom Körper zu waschen.
    Â»Außerdem haben Sie eine falsche Diagnose gestellt.«
    Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Inwiefern?«
    Â»Sie haben den eingedrückten Brustkorb übersehen.«
    Sie versuchte, die Tragweite seiner Formulierung zu erfassen. »Meinen Sie etwa, Lilleengen ist gar nicht an einer Überdosis gestorben?«
    Die Frage blieb für einen Moment in der Luft hängen, während Joseph Linz tief durchatmete.
    Â»Natürlich tat er das. Diesen hier habe ich allerdings …«, Linz tätschelte den Hals des Hirschen, »mit meinem Geländewagen gerammt, als ich auf dem Heimweg war.«
    Â»Mit Ihrem …« Sie konnte den Satz nicht beenden.
    Der Chefpathologe nickte begeistert. »Stellen Sie sich das vor. Da ist man vier Tage auf der Jagd, ohne dass einem ein einziger Bock vor die Flinte kommt, und dann läuft einem dieser hier direkt vors Auto. Rums! Auf der Stelle tot!«

    Maja erwiderte sein Lächeln nicht. »Warum haben Sie dann überhaupt noch geschossen?«
    Linz zuckte die Schultern. »Aus dem ältesten Grund der Welt.« Er rückte seine Schutzbrille zurecht. »Weil ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte.«
    Linz setzte die Kreissäge am gehäuteten Schädel des Hirschen an. Mit 28000 Umdrehungen in der Minute fraß sich das blitzende Sägeblatt durch den Schädel des Tieres. Begierig trennte Joseph Linz das Geweih vom Kadaver.
    Â 
    Die Abenddämmerung tauchte die Landschaft in ein bläuliches Licht, in dem sich die Rückleuchten der anderen Fahrzeuge wie chinesische Reislampen durch die zunehmende Dunkelheit zogen. Maja war in ihrem Mercedes auf dem Heimweg und trug einen Jogginganzug. Die Arbeit hatte sie erschöpft, und trotz der anregenden Wirkung des Ritalins war sie froh, sich an diesen Rücklichtern orientieren zu können. Durch das Brummen des Motors hindurch hörte sie den Rufton ihres Handys. Auf dem Display stand »Mecki«.
    Â»Hallo!«, meldete sie sich fröhlich. »Gibt’s was Neues?«
    Die Verbindung war schlecht. Nur von ferne drang seine Stimme durch das Rauschen an ihr Ohr.
    Â»Ein bisschen … rausgefunden.«
    Â»Schieß los!«
    Â»Gar nicht so leicht, etwas über Lilleengen in Erfahrung zu bringen.«
    Â»Willkommen im Klub.«
    Â»Die Leute halten sich alle merkwürdig bedeckt. Kaum jemand der anderen Junkies will ihn näher gekannt haben, bis auf einen.«
    Â»Wer?«
    Â»Ein armer, alter Schlucker,

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