Die Anatomie des Todes
schlieÃlich den warmen Strom seines Samens in ihrem SchoÃ.
Lange blieben sie eng umschlungen liegen, ihre Körper eine pulsierende Einheit.
Später zogen sie schweigend in sein Bett um. Sie kehrte ihm den Rücken zu, rollte sich zusammen wie ein Gürteltier und zog die Knie bis zur Brust. Kurz hatte sie das Gefühl, dass er sie umarmte, doch spürte sie ihn nicht mehr â als wäre alle Empfindsamkeit wie eine weiÃe Gaswolke aus ihr entwichen. Sie war zurück in Lyngby, in der Burg ihrer Einsamkeit.
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Am nächsten Morgen spazierten sie am Wasser entlang. Seit dem Aufwachen hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Aber hier war ihnen die Stille willkommen. Sie war nicht mehr so bedrückend wie zuvor, sondern passte gut zu der kalten Morgenluft. Maja trottete hinter Stig her, während er auf dem schmalen Pfad, der über die Klippen führte, voranging. Obwohl sie zwei Paar Wollsocken trug, waren ihr die geliehenen Gummistiefel viel zu groÃ. Sie trug wieder das Sweatshirt und die Jogginghose von gestern. In der schlapprigen Kleidung fühlte sie sich geborgen.
Er hatte gesagt, sie könne bei ihm bleiben, so lange sie wolle. Hier war sie nicht den neugierigen Fragen ihrer Umwelt ausgesetzt. Sie hatte ihn gefragt, ob es sehr schlimm werden würde. Er hatte geantwortet, dass es in der kleinen Stadt nur eine Frage der Zeit war, bis alle wussten, dass sie das Mordopfer gefunden hatte. Die Gerüchteküche über sie, die Fremde, würde brodeln.
Während sie Kaffee tranken und Toast mit Preiselbeermarmelade aÃen, bot er ihr an, die Sachen aus ihrer Wohnung zu holen, damit sie nicht nach Hause musste. AuÃerdem sagte er, er könne ihren Rock beim Polizeirevier abliefern, damit Blindheim sie nicht mit seinen Fragen behelligen konnte. Doch beide Angebote lehnte sie dankend ab. Er solle sich keine Umstände machen. Sie käme schon zurecht. Er schaute sie betrübt an, und sie wusste nicht, wer ihm mehr leidtat, er selbst oder sie.
»Wartet jemand auf dich zu Hause in Dänemark?«
Auf einem Felsvorsprung drehte er sich zu ihr um. Er reichte ihr die Hand und half ihr zu sich nach oben. Zwischen den Tannen hatten sie einen freien Blick über das Meer. Es war geradezu erschreckend schön. Schön an der Oberfläche, dachte sie.
»Meine Mutter macht sich immer so groÃe Sorgen um mich.«
»An deine Mutter habe ich eigentlich nicht gedacht.«
Sie wischte sich mit dem Ãrmel die Nase ab. »Ich habe gerade erst eine Beziehung hinter mir.«
Stig hob einen ovalen Stein auf und warf ihn im hohen Bogen aufs Meer hinaus. Mit einem kurzen Platschen durchbrach er die Wasseroberfläche.
»Bist du deshalb hierhergekommen?«
Maja zuckte die Schultern. »Ach, ich lass mich einfach treiben.«
Sie setzten ihren Weg über die glatten Klippen fort und
balancierten an der Kante entlang. Ein spannendes, aber nicht ungefährliches Spiel.
»Kinder?«
Maja schüttelte den Kopf. Sie rutschte mit dem Fuà ab, schaffte es aber gerade noch, ihn in die Vertiefung des nächsten Felsens zu setzen.
»Und du?«
»Keine Frau, keine Kinder, kein Privatleben.«
»Und ich dachte schon, mein eigenes Leben wäre gescheitert.«
Stig lächelte. »Na, dann frag mal bei meiner Familie nach.«
Sie lachten.
»Die sollte doch stolz darauf sein, dein Gesicht jeden Abend im Fernsehen zu sehen.«
Stig blickte zu Boden.
»Im Gegenteil. Hier in der Stadt zählst du nur was, wenn du einen Job auf See hast. Ihrer Meinung nach hätte ich genauso gut Bankräuber werden können.«
»Und dein Bruder?«
»Der baut Ãlplattformen.«
»Ein Job auf dem Meer.«
»Du sagst es. Früher war er Fischer. Aber die Zeiten ändern sich.«
Sie hatten beide das Gefühl, genug über ihre Familien geredet zu haben. Die wichtigsten Dinge waren jedenfalls abgeklärt: zwei Singles, beide im reproduktionsfähigen Alter, beide am positiven Ende der Gehaltsskala â das Ãberleben der Art war gesichert.
Doch Maja hatte es schon früher probiert. Für sie gab es nur eines: Darwin und seine Theorie zu widerlegen.
Nachdem sie in Stigs Haus zurückgekehrt waren, wollte sie sofort aufbrechen. Sie sagte, sie müsse zu ihren Patienten, und wollte sich ein Taxi bestellen. Doch Stig bestand
so beharrlich darauf, sie zu fahren, dass sie schlieÃlich einwilligte.
Schweigend
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