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Die andere Haut: Roman (German Edition)

Die andere Haut: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Haut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Schnitzer
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sie ihm noch einen Kuss auf den Mund gegeben hat. „Bis dann in der Schule. Schlaf schön.“
    „Ja, du auch.“ Er hat genickt und ist gegangen.
Was also erwartet sie nun?
Sein müder Blick erinnert noch an die vergangene Nacht. Zu  wenig Schlaf, ihre schweren Glieder, doch die Sonne brennt, die Schüler lachen, zehn Minuten bis zum Beginn des Unterrichts, alles wie gehabt. Die Welt steht nicht still, weil in irgendeinem Mädchenbauch die Schmetterlinge Salsa tanzen.
    Zäh vergehen die Stunden. Zum Glück bemerkt Laras Lehrerin Simona, was mit ihr los ist, und so sparen sie sich heute die Grammatikübungen, unterhalten sich nur ein wenig über die Liebe, das Land und Simonas Ehemann, der eine Geliebte zu haben scheint, was der tiefgläubigen jungen Frau schwer zu schaffen macht.
    Lara ist voller Mitgefühl, und doch sprudelt sie innerlich über. Je mehr Simona von ihrer kleinen und doch so bedeutenden Welt erzählt, desto mehr berauscht sich ihre Schülerin an der Vorstellung eines wilden, freien Lebens. Ein Geliebter in Südamerika, warum denn nicht, dann Marcel in Deutschland, der nächste vielleicht in Frankreich oder auf einer Südsee-Insel, alles scheint möglich, sie ist jung und voller neuer Fantasien. Erträumt sich das Leben einer schillernden Diva, der die Männer zu Füßen liegen, während ihr Herz davon unberührt bleibt; ein wenig genießen, ein wenig lieben, Marlene Dietrich, „Ich bin doch zu schade für einen allein ...“
    Ungewohnt steif verläuft nach dem Unterricht ihre Unterhaltung mit Ricardo. Was hat sie sich nur erhofft? Ein plötzliches Liebesgeständnis würde sie zutiefst beklemmen, und doch ist sie enttäuscht über sein distanziertes Verhalten. Vielleicht ist er einfach übermüdet oder er hat Angst um seinen Job, tröstet sie sich. Wer weiß, welche Regeln an der Schule gelten, Flirts und lockere Sprüche hin oder her.
    „Sehen wir uns heute Nachmittag beim Tanzkurs?“, beendet er das unbefriedigende Gespräch und Lara nickt. „Denke schon, wenn ich nicht verschlafe.“
    Endlich lächelt er kurz und gähnt. „Sind ja noch ein paar Stunden bis dahin.“
Sie verabschieden sich knapp und Lara läuft ziellos durch die Straßen. Bei aller Müdigkeit, ihr ist überhaupt nicht nach Schlafen. Auf einem Markt kauft sie ein paar Silberketten, in einem kleinen Café isst sie zu Mittag. Schließlich findet sie doch den Weg in ihre Pension.
Abwechselnd kommt sie sich mondän und begehrenswert vor, dann wieder albern und naiv, mein Gott, ein kleiner One-Night-Stand des Schul-Casanovas, weiter nichts.
Als sie beschließt, doch ein wenig zu schlafen, gelingt es ihr nur halb. Viel Zeit hat sie ohnehin nicht, noch knappe zwei Stunden, sie wälzt sich im Bett und ertappt sich bei absurden Träumen, was wäre wenn, eine große Hochzeit in den Anden, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Babys mit dunklen Augen und brauner Haut, Liebe am Strand, Spaziergänge im Regenwald, Märchen, Fantasien, Leben … Sie zwingt sich zurück in die Wirklichkeit, kindische Spinnereien, sagt sie sich, aber sie lächelt dabei.
    Im Kurs schließlich gibt Ricardo sich weiterhin kühl, er lässt sie zappeln, beachtet sie kaum, doch als sie miteinander tanzen, nach einer halben Ewigkeit, da drückt er sanft, aber bestimmt ihre Hand. Niemand merkt etwas davon, nur sie, eine stumme Botschaft oder ist es nur ein Spiel, am Ende gar bloßer Zufall? Nur mit Mühe widersteht sie der Versuchung, ihn einfach zu küssen.
    „Ich fand es schön“, murmelt sie stattdessen und spürt, wie ihr das Blut ins Gesicht schießt. Sie blickt zu Boden, doch dann zwingt sie sich, ihm in die Augen zu sehen.
    „Ja, ich auch“, sagt er, doch seinen Blick durchschaut sie nicht. Kein Lächeln, kein Zwinkern. Am liebsten möchte sie weinen, doch dann flüstert er so leise, dass sie es kaum versteht: „Nicht hier vor den anderen, okay? Später …“
    Später!
    „Kommst du mit? Wir gehen noch was essen im Casa verde“, fragt Benoît sie nach dem Kurs, aber Lara schüttelt den Kopf. „Habe noch ziemlich viele Hausaufgaben“, behauptet sie.
    Die meisten dürften ihre Lüge durchschauen, aber sie geben sich diskret und verlassen eilig den Schulhof. Vielleicht sind sie auch froh, in Ruhe über sie reden zu können.
    Als Ricardo sich endlich unbeobachtet fühlt, nimmt er Lara in die Arme, und für einige Augenblicke fühlt sich alles richtig an. Als gäbe es nur sie beide und den Moment.
„Du bist schön, aber auch sehr seltsam“, sagt er, ohne

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