Die andere Haut: Roman (German Edition)
„verliebt?“, mit einem Blick, als könne sie ihr ins Herz sehen, und Lara nickt. Mitgefühl und Wehmut liegen in den Augen der Frau, als sie Lara ein Taschentuch reicht. „Lieber traurig sein als gar nichts fühlen.“ Lara lächelt. „Wahrscheinlich.“ „Ganz sicher.“ Sie sprechen einige Minuten über die Liebe und den Stillstand von Gefühlen, von Hoffnung und Glück, bis Laras Tränenstrom endlich versiegt und sie mit blindgeweinten Augen hinausguckt auf die Wolken und irgendwann das Meer.
Kapitel 11
Zugvögel
S ie fühlt sich vollkommen leer. Nicht einmal schlecht. Leer. Was soll’s, Kreditkarte auf Anschlag, ab zu David nach Asien, überlegt Lara. Schluss mit diesem albernen Traum von Freiheit, Lust und Rausch. In Davids Arme und wieder sie selbst sein. Zurück ins wahre Leben. Liebe. Wärme. Alles.
Ist es Freiheit,jeder der dummen Launen des Körpers nachzugeben? Krankheit unserer Zeit, denkt sie, wer alles hat, will noch mehr. Es geht doch auch mit David. Hitzige Nächte und sanfte, inspirierende und entspannte, wilde, schlaue, lustige, wütende, beflügelnde, berauschende, helle, dunkle, laute, leise, ihr fehlt nichts, rein gar nichts. Und doch ist sie trotzig wie ein kleines Kind, das vor dem Süßigkeitenregal mit dem Fuß aufstampft. „Ich will aber!“ Will die Süße, will das Fremde, das Verbotene, will mehr, mehr, mehr. Wieviele vor ihr haben das schon gespürt? Hunderttausende? Millionen?
Jan packt seine Sachen. Gleich wird Linda ihn zum Busbahnhof bringen, er wird in die Hauptstadt zurückfahren, morgen geht sein Flug.
„Einmal muss ich schon noch nach Schweden“, erklärt er Lara. „Alles regeln und so.“
Einmal! Und dann wieder ab in den Flieger, einer ungewissen Zukunft entgegen, einer ungewissen Liebe hinterher. Aber was ist schon gewiss, warum also nicht? Trotzdem. Sie bewundert ihn. Für seinen Mut. Seine Naivität. Sein Vertrauen.
Jan hält inne, guckt sie an. „Danke“, sagt er schlicht. „Du hast mir die Augen geöffnet.“
Sie ist verblüfft. „Ich?! Aber wieso das denn?“
„Na ja, dass du einfach so, nach all den Jahren nochmal hierher geflogen bist ...“
Das ist doch etwas vollkommen anderes, hämmert es in ihrem Hirn und sie erschrickt, weil er ihr so nah ist und sie doch so wenig kennt. Oder?
„Ich werde doch wieder zurückfliegen zu David“, protestiert sie. Schwach, denn die Verblüffung über Jans Wahrnehmung ihrer selbst steckt ihr in den Knochen.
„Werden wir ja sehen“, orakelt Jan. Und dann: „Was willst du jetzt eigentlich tun? Wegen Ricardo?“
„Was schon? Er hat Malin.“
Jan sieht sie lange an. Erzähl mir nichts, sagt dieser Blick.
Er kennt mich doch, stellt Lara fest. Zumindest ein bisschen. Der Gedanke erleichtert sie und bringt sie zum Lächeln. „Ich weiß nicht“, seufzt sie.
„Ich werde dich für nichts verurteilen“, versichert Jan. „Schreibst du mir, wie es weitergeht?“
Sie nickt. „Klar.“
Ich werde dich für nichts verurteilen. Geht es denn um ein Verbrechen? Ja. Nein. So billig. So banal. So groß. Nur Lust. Nur Liebe. Was auch immer.
„Also dann ...“, beginnt sie, als Jan fertig gepackt hat.
Sie gehen aufeinander zu. Jan. Ihre kurze, leise Liebe. Still. Flüchtig. Tropfen, der im Sand versickert. Unwahrscheinlich, dass ihr Kontakt lange anhalten wird. Ein neuer Facebook-Freund. Wer weiß.
Noch eine Umarmung.
„Was willst du jetzt tun?“ fragt Jan erneut, aber diesmal meint er nicht ausschließlich Ricardo. „Bleibst du hier?“
Lara zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wohl eher nicht. Vielleicht fahre ich ein bisschen an die Küste und lege mich an den Strand.“ An diese Möglichkeit denkt sie in dem Moment, in dem sie es sagt, zum ersten Mal.
Jan nickt, „gute Idee“, und umarmt sie wieder.
Ein seltsamer Abschied. Von wem trennt sie sich, einer Urlaubsbekanntschaft, einem Geliebten, einem Freund? Wie so oft im Leben stimmt alles ein bisschen. Vielleicht sollte sie auch aufhören, Gefühle etikettieren zu wollen, in Schubladen zu stecken und zu kategorisieren. Jan ist ihr Jan, und was das bedeutet, wissen sie beide auch ohne große Worte.
„Viel Glück“, wünscht sie ihm. Was man halt so sagt.
Dann geht er, und sie wirft sich aufs Bett. Lange bleibt sie liegen, starrt die Decke an und schläft irgendwann erschöpft darüber ein.
Als sie erwacht, ist es bereits dunkel. Sie beschließt, noch einmal ins „Sol y suerte“ zu gehen, um sich zu verabschieden, und morgen tatsächlich an die Küste
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