Die andere Seite des Glücks
muss wohl ihr Terroir sein.«
»Das Terroir von Menschen? Ich kann schon die ganzen Debatten hören, die so eine Aussage in Gang setzen würde. Aber sprich weiter.«
»Es ist … ich kann den Boden, diesen Ort, in ihren Haaren riechen, in ihren Nackenfalten und an ihren Fingerspitzen. Diesen wunderbar lehmigen Duft vermischt mit Holzrauch, der Buchenart
Lithocarpus densiflorus
und Redwoods, von Rosmarin und Lavendel. Und ja, ein wenig Knoblauch von Marcellas Speisen … Ich weiß nicht. Es klingt komisch, wenn ich versuche, es zu erklären.«
David klopfte mir sanft auf den Rücken. »Ein kleines Bad könnte da Wunder tun.«
»Ha ha, echt witzig.«
»Aber ich verstehe, was du meinst«, sagte er. »Und würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Ich hab über deine Idee mit dem Laden nachgedacht.«
»Und?«
»Großvater Sergio ist schon vor Jahren gestorben, aber wenn ich in den Laden komme, riecht er immer noch nach ihm – nur schwach zwar, aber trotzdem. Besonders oben im Büro. Der Kirschtabakgeruch seiner Pfeife. Jetzt vermischt mit Papas Old Spice.«
»Hast du schon mal daran gedacht, einfach das Fenster aufzumachen?«, sagte Lucy.
»Der Punkt geht an dich!« Er schüttelte den Kopf. »Trotzdem, nein, es würde nichts nutzen. Gegen den Geruch ist man machtlos. Selbst wenn man den Laden änderte, ihn modernisierte und in einen etwas anderen Laden verwandelte – es würde immer Capozzi’s Market bleiben. Beim Eintreten würde man immer die Familiengeschichte spüren. Vielleicht sogar stärker wegen der nicht zu übersehenden Hinweise aufs Mutterland, wie Großvater es immer nannte. Und genau das ist der Punkt. Wenn wir Ellas Idee nicht ausprobieren, können wir den Laden gleich aufgeben und verlieren damit alles, wofür mein Großvater, mein Vater und mein Bruder die vielen Jahre gearbeitet haben.«
Ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Eine Art Zauber schien uns hier auf dem Hügel mit den symmetrischen Furchen zu umgeben, inmitten alter, knorriger Weinstöcke und junger Reben.
»Eine Veränderung kann guttun. Ich hatte Joe immer gesagt, er sollte den Tourismus nicht bekämpfen, sondern feiern. Aber ich war ja bloß der Kleine in der Familie und niemand, der das Geschäft je führen würde. Daran hatte Großvater nie Zweifel gelassen«, sagte David schließlich. »Die Zahlen müssen zwar noch auf den Tisch, Ella, aber ich finde, deine Idee hat was. Reden wir darüber, was du von mir brauchst. Ich glaube, ich will beim Picknick dabei sein.«
Ich packte beide am Arm und stieß einen Siegesschrei aus, dann trotteten wir eingehakt den Hügel hinab in den kleinen Weinkeller, um zu feiern. Trotz der Tatsache, dass ich die Zahlen auf den Tisch legen musste.
Lucy schenkte uns Wein ein. Wir stießen auf das Terroir und DAS LEBEN IST EIN PICKNICK an. Ich erzählte ihnen von dem Problem mit der Lebensversicherung und wie schlimm die finanzielle Situation des Ladens meiner Meinung nach war. Doch keiner von beiden schnappte entsetzt nach Luft. Lucy schenkte mehr Wein ein. David trommelte mit den Fingern auf den Tisch und schnalzte mit der Zunge – was er immer tat, wenn er intensiv über etwas nachdachte. Sonst fiel es mir nur auf, wenn wir miteinander telefonierten, aber zu dieser späten Stunde war Davids Zungenschnalzen das einzige Geräusch im Raum.
»Okay«, sagte er schließlich. »Ich werde den Eltern die Neuigkeiten vom Laden und der Lebensversicherung vorsichtig beibringen. Ich weiß, warum Joe nie etwas zu Dad gesagt hat.« David schien jetzt weit weg. »Weil er immer wollte, dass er und Großvater stolz auf ihn sind. Wir haben das beide versucht. Selbst ich, der ich keinen Funken italienischen Machismo in mir hab. Aber Dad scheint das immer noch total zu brauchen … Stolz zu sein auf den Laden, auf seinen Vater, auf uns.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Seine beiden Söhne.«
11. Kapitel
Als ich am nächsten Morgen Geschirr spülte, zog jemand an meinem Hosenbein. Es war Zach, der mich anstarrte, den Daumen im Mund und Bubby im Arm, mit dessen Hasenohren – der türkisen Innenseite aus Satin – er sich über die Wange rieb.
»Was ist denn, mein Schatz?«
Er fing an, Bubby gegen die Küchenschubladen zu klatschen. Ich drehte das Wasser ab und ging vor ihm in die Hocke. »Was ist los, Zachosaurus?«
Er stieß einen Seufzer aus. »Wann kommt Daddy nach Hause?«
»Ach, mein Kleiner.« Ich nahm ihn in die Arme. »Daddy ist tot. Erinnerst du dich nicht? Daddy kommt nicht mehr nach
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