Die andere Seite des Glücks
zwei. Kätzchen!« Dann machten wir uns auf ins Schlafzimmer. Unter dem Bett lugten die Beine der Kinder hervor, in den Sohlen der Sneaker kleine Erdklümpchen.
»Sie verschwinden immer unters Bett, damit Callie nicht mit ihnen spielen kann. Und jetzt finden wir sie hier nicht mehr, wir können sie aber noch hören.«
Wir legten uns auf die Knie und blickten unters Bett. Annie hatte recht, sie waren nirgends zu sehen.
»Ich wette, sie verstecken sich irgendwo zwischen den Sprungfedern, wahrscheinlich ganz weit oben. Mein Freund hatte mal ein Kätzchen, das uhh« – Gil tat, als drückte er sich mit der Hand den Hals zu – »weil es sich darin eingeklemmt hatte. Das passiert regelmäßig mit Kätzchen, das hören wir auch im Tierheim immer wieder. Die Unterseite von Betten und Sofas sind Todesfallen für die lieben Kleinen.«
»Dann müssen wir sie da rausholen. Und ihr müsst mir dabei helfen.«
Gil holte eine Dose Thunfisch aus der Vorratskammer und machte sie auf. Die Kätzchen kamen wie Hasen angehüpft.
»Okay, Kinderchen«, sagte David. »Haltet die Kätzchen fest und wartet bei der Tür. Wir müssen das Bett präparieren.« Und an mich gewandt, fügte er leise hinzu: »Du willst doch bestimmt keine strangulierten Kätzchen, oder? Hast du Nadel und Faden?«
Ich nickte und ging zum Schrank, um alles zu holen. David und Gil nahmen die Matratze vom Bett und lehnten sie gegen die Wand. Dann drehten sie den beidseitig mit Stoff bezogenen Sprungrahmen um.
»Das Schiff ist umgekippt. Mayday! Mayday!«, rief Annie. Sie und Zach hüpften mit den armen Kätzchen im Arm auf und ab, so dass es aussah, als ob ihnen trotz ihrer Rettung bald der Kopf abfallen würde.
»Vorsichtig, nicht so wild, sonst tut ihr ihnen weh«, warnte ich.
David und Gil betrachteten sich eingehend die von uns abgewandte Unterseite des Sprungrahmens.
»Nun«, sagte David. »Ich glaub, mich laust der Affe.«
»Onkel David, wie oft soll ich dir das noch sagen? Hier gibt’s keine Affen«, insistierte Annie.
Doch David ignorierte sie. »Ähm, Gil? Hilfst du den Kindern die Katzen zu füttern – in der Küche?«
Gil nickte, verließ mit den Kindern das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Ella? Schätzchen? Sieh nicht her …« Er war blass geworden. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum – hatte er das Skelett eines Kätzchens entdeckt?
Ich ging um das Bettgestell herum, um mir die andere Seite des Sprungrahmens anzusehen. Sofort bemerkte ich einen Riss in dem dünnen Stoff – oder besser gesagt, einen Schnitt –, der den Blick auf mehrere dicke Bündel Papier freigab, die weiter oben zwischen den Sprungfedern eingeklemmt waren. Gebündelte Briefe.
Wir standen wie angewurzelt da und starrten sprachlos darauf. Schließlich sagte David: »Mir ist auf einmal kalt. Vielleicht sollten wir den Holzofen anheizen.«
»David … ich …«
»Niemand muss davon erfahren.«
Wir hatten uns noch immer nicht vom Fleck gerührt, die Bündel noch immer nicht herausgezogen, um nachzusehen, ob es auch wirklich die Briefe waren, für die wir sie hielten. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mich übergeben. David legte den Arm um mich.
»Ella. Niemand muss es erfahren.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
»Sicher geht das. Ich sehe gar nichts.«
»David. Ich sehe es. Ich weiß es.« Ein gewaltiges Dröhnen erfüllte meine Ohren, und mein ganzer Körper pulsierte im Takt meines Herzschlags.
»Also gut, aber dann lies sie nicht. Wahrscheinlich steht überall drin, dass er die Kinder für immer behalten soll. Davon gehe ich jedenfalls aus.«
»Nein, tust du nicht.«
»Möglich ist es.«
»Ich könnte deinen Bruder hier und jetzt umbringen, wenn er nicht schon tot wäre«, zischte ich.
»Puh«, sagte David und ließ mich los. »Das ist wirklich hart.«
»Wut ist das beste von all den beschissenen Gefühlen, die ich im Moment habe. Wut ist wie eine angenehme Brise – verglichen mit dem Rest.«
»Ella, hör mir zu, du musst dich zusammenreißen. Du musst an Annie und Zach denken, was das Beste für sie ist. Und das Beste ist garantiert nicht, dass sie sie uns wegnimmt.«
»Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, wer sie wirklich ist? Wir dachten auch, wir kennen Joe.«
»Joe hatte seine Gründe. Ich bin sicher, er wollte das Beste für seine Kinder. Und das war das Beste für seine Kinder.«
»Ich ertrage momentan keine Rechtfertigungen.«
»Mach sie nicht auf. Lies sie nicht. Es ist sowieso egal … Es wird
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